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Sei bekloppt, brich mal aus dir raus – ABAY im Interview

Drei Jahre nach ihrem Debüt „Everything’s Amazing And Nobody Is Happy” präsentieren sich ABAY in neuer Konstellation und mit neuer Platte „Love And Distortion“. Die Indie-Rocker sind seit kurzem offiziell ein Quartett und möchten mit ihrem neuen Studioalbum wieder grob „Hallo“ sagen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Weshalb das so wichtig ist, inwiefern sich die Musikbranche weiterentwickelt hat und welche Beweggründe hinter dem neuen Werk stecken, verriet uns Sänger Aydo Abay im MusikBlog Interview.

MusikBlog: Kleiner Rückblick. Euch gibt es seit 2012. Wie sehr hast du anfangs versucht, nicht nur das „Ex-Blackmail-Mitglied“ zu sein?

Aydo Abay: War bestimmt mal Thema. In der Anfangsphase haben wir ganz viele Soundtracks gemacht und uns auch versucht, mit allen Stilen durch die Ecken zu finden. Doch dann haben wir gemerkt, dass wir den Schritt doch nochmal gehen müssen.

MusikBlog: Hat deshalb das Debüt „Everything’s Amazing And Nobody Is Happy“ vier Jahre auf sich warten lassen?

Aydo Abay: Also wir mussten uns auch einfach an diverse Sachen halten. Anfangs haben wir uns bei dem Bauen der Soundcollagen für die Soundtracks sehr gut kennengelernt, wie wir ticken und im Studio arbeiten. In der Zeit haben wir auch Songs geschrieben und Sachen ausprobiert. Aber wenn du von einer anderen Band kommst, Jonas ja auch, dann man fängt dann doch bei null an. Du musst dich also komplett neu aufbauen und da sind wir auch immer noch dabei, das ist noch lange nicht da, wo es eigentlich hin muss. Harte Arbeit!

MusikBlog: Also immer noch Findungsprozess.

Aydo Abay: Ja, ich habe auch das Gefühl – unsere letzte Tour ist ein Jahr her – dass wir jetzt schon wieder neu anfangen müssen, weil uns die meisten Leute schon wieder vergessen haben. Das letzte Mal war letztes Jahr im April und die Tour war auch gut besucht, aber ich merke jetzt beim Einstieg in die Promo von der neuen Platte, dass man echt nochmal so ganz grob „Hallo“ sagen muss, weil die das alle vergessen haben! Das ist alles so schnelllebig geworden.

MusikBlog: Woran, glaubst du, liegt das?

Aydo Abay: Ich glaube, es liegt an der ständigen Verfügbarkeit von Musik, von aller Musik. Es ist einfach eine neue Komponente dazugekommen. Die Leute beschäftigen sich heutzutage vielleicht mit einem Song, nur wenige machen das so mit einem ganzen Album. Das war früher definitiv nicht so. Da warst du mit vier, fünf Artikeln und einer halbwegs guten Platten einfach gesetzt. Die haben dich dann länger nicht vergessen. Jetzt musst du erstmal einen Riesen-Paukenschlag hinlegen, um dich überhaupt zu etablieren. Wenn man jetzt nicht gerade auf Skandale aus ist, ist das ganz schön schwierig.

MusikBlog: Junge Musiker setzen viel auf Social Media.

Aydo Abay: Ja, das mit dem YouTube oder diese ganzen sozialen Medien, dafür bin ich, glaube ich zumindest, zu alt. Diejenigen, die Klickzahlen generieren, sind ja meistens Jugendliche oder teilweise sogar noch Kinder. Die haben mich ja überhaupt nicht auf dem Schirm. Da müsste ich erst irgendwas mit…wer ist denn gerade ein angesagter Rapper? Irgendwas mit einem angesagten Rapper oder ein Interview mit Bibi führen, damit ich da überhaupt auf dem Zettel bin.

Ich habe noch nicht ganz so verstanden, wie man damit umgeht, was angesagt ist oder eben auch nicht. Ich versuche mich jetzt gerade an Instagram und es läuft auch alles ganz gut, aber ich frage mich halt auch manchmal, was das alles soll. Wen soll das interessieren? Die Fans kann es doch nicht interessieren, wann ich meinen Kaffee trinke oder wann ich aufs Klo gehe?

MusikBlog: Können die neuen ABAY-Mitglieder nicht Abhilfe schaffen?

Aydo Abay: Jaaaa…schon. Ich habe auch versucht, ihnen den Account zuzutragen, aber die haben halt nichts gemacht und die zwei Sachen, die sie gemacht haben, da habe ich dann gesagt „Ne, Leute, so nicht!“ (lacht)

MusikBlog: Wie ist das denn so, neuerdings offiziell als Quartett?

Aydo Abay: Wir haben uns schon immer als Band gesehen, nur ist die Suche recht schwierig gewesen. Du musst ja auch die richtigen Leute finden. Man ist ja auch keine 18 mehr, wo man sagt: ja, ich komm schon irgendwie klar mit denen. Diese Suche hat ganz schön gedauert, und bis wir dann Dennis und Johannes fest etablieren konnten, das hat auch nochmal ein Jahr gedauert. Die waren erstmal mit auf Tour, das fühlte sich gut an und deswegen haben wir sie erstmal behalten. Man weiß natürlich bei so jungen Leuten nicht, wie die in drei Jahren ticken. Warten wir mal ab, aber momentan verstehen wir uns alle sehr gut.

MusikBlog: Zwei Meinungen mehr im Studio.

Aydo Abay: Das ist jetzt vielleicht gemein, das so zu sehen, aber der Jus ist immer der Meinung der Mehrheit, das macht es recht einfach und Dennis hält sich oft zurück. Ich habe auch versucht, Jus ganz viele Aufgaben aufzutragen, die ich in der Vergangenheit getan habe. Ich habe aber dann doch irgendwann gemerkt, dass ich immer nochmal drüber gehen muss, also hatte ich doppelte Arbeit. Wir suchen noch nach dem Platz, den jeder hat, zumindest, was die Arbeitsverteilung angeht, musikalisch ist ja alles klar, da verstehen wir uns sehr gut.

Ich bin da leider auch nicht so talentiert, was das alles angeht, ich kriege das selbst nicht auf die Reihe. Da gab es früher immer Leute oder bei Blackmail, da war es auch ganz klar aufgeteilt, wer die Finanzen macht, wer die Gespräche mit dem Management führt und so weiter. Das ist alles nicht mehr so einfach. Jonas kommt ja aus einer ganz anderen Welt, ihm wurde es praktisch von Sekunde eins an alles abgenommen. Den kann man bei so Sachen auch nicht zu Rate ziehen. Aber es ist ja auch schön, diese Frische in der Band zu haben, zum Beispiel muss ich jetzt nicht mehr den ganzen Alkohol trinken, das machen jetzt die jungen Hüpfer! (lacht)

MusikBlog: Gehört Alkohol nicht zum Rocker-Leben dazu?

Aydo Abay: Das kann ich sehr gut abgeben! Ich trinke noch meine ein, zwei Bier oder gern auch mal einen Schnaps, aber dieses Durchdrehen nach dem Konzert, das überlasse ich der Jugend! Und die machen das auch mit Bravour, das muss ich denen lassen! (lacht)

MusikBlog: Eure neue Platte „Love And Distortion”, großer Gegensatz direkt im Titel.

Aydo Abay: Ja, das hat sich irgendwann etabliert, weil Jonas das immer als Gruß geschickt hat. Und als wir die Platte aufgenommen haben, haben wir auch sehr viel mit Gegensätzen gespielt. Und irgendwann passte es dann auch, auch textlich und auch irgendwie wieder zur Zeit. Ist ja auch schon fast wieder pathetisch gewesen der Titel, aber manchmal tut es ja auch ganz gut.

MusikBlog: Wieso haben die Aufnahmen denn so lange gedauert?

Aydo Abay: Es ging eigentlich. Wenn man die eigentliche Arbeitszeit zählt, waren es nur zwei, drei Monate. Wir haben erst geschrieben, dann haben wir aufgenommen und produziert und danach habe ich die Texte geschrieben. Und auf einmal war ein Jahr rum! Und dann musste ja auch noch gemischt werden – so ein Jahr vergeht schneller, als du gucken kannst.

MusikBlog: Eva von Juli ist auch wieder dabei. Wie wäre es mit dem Rest der Juli-Band?

Aydo Abay: Also ich kenne die mittlerweile ja auch alle. Ich würde die auch mit Kusshand nehmen für kleine Gastbeiträge, aber Eva und ich funktionieren stimmlich einfach ganz gut. Die ist auch noch ein wahnsinnig netter Mensch und das geht alles wahnsinnig schnell, wir verstehen uns gut und zack boom. Die kann immer mitsingen. Und die anderen, weiß ich nicht, habe ich noch nie so drüber nachgedacht, die haben wir ja schon alle irgendwie so besetzt, aber das, was Eva kann, kann ich halt überhaupt nicht – undzwar Eva sein! (lacht)

MusikBlog: Wieviel haben Gastmusiker bei euch denn zu sagen?

Aydo Abay: Das ist auf der Platte mal so und mal so gelaufen. Bei Eva war es so, dass alles schon fertig war und wir haben sie dann einfach gefragt, ob sie Backing macht, da gab es keine Einarbeitung oder so. Christoph Clöser haben wir natürlich jede Freiheit gelassen, die er braucht, um sich zu verwirklichen. Das hat er auch sehr gut gemacht. Du kannst natürlich ein Saxophon-Solo auch nicht mit Backing-Vocals vergleichen, das eine ist frei, das andere ist relativ in Bahnen.

MusikBlog: „With every step I take into the light, it gets harder to be found” heißt es in „Lucid Peel“. Von welchem Licht ist hier die Rede?

Aydo Abay: Es geht so um das Verschwimmen der Realität, je präsenter man ist. Das war so der Gedankengang. Je präsenter man ist, desto weniger ist man auch bereit, von sich preiszugeben, kann es aber dann gar nicht mehr verhindern.

MusikBlog: Die Nachfolge-Single „Plastic“ ist am Freitag den 13. erschienen. Seid ihr gar nicht abergläubisch?

Aydo Abay: Ich bin eigentlich hart abergläubisch, aber das konnte ich nicht mehr verhindern! (lacht)

MusikBlog: „Land Of Silk And Money“ spricht ironisch vom American Dream. Gibt es den denn überhaupt noch?

Aydo Abay: Der Song ist entstanden, als sich Amerika sichtlich verändert hat. Es geht schon um den Traum, den man so als Teenie hatte von Amerika, also ich zumindest, durch die Filme, die man gesehen hat und die Musik, die man gehört hat. Das hat sich so ein bisschen relativiert, nicht nur durch Trump, sondern so durch die Allgemeinentwicklung, vielleicht auch die der Welt. Wie tief Rassismus dort noch verwurzelt ist, ist mir schlagartig klar geworde, als ich dort war.

MusikBlog: Wie kommt es, dass es deutsche Bands so schwer haben in Amerika?

Aydo Abay: Wir haben immer versucht, den Weg ins Ausland zu finden. Das war zwar nie geplant, wir haben auch nicht deswegen Englisch gesungen, das war einfach so eine Eingebung, aber es war unglaublich schwierig. Wir waren mit Blackmail zweimal in den USA, die 10 oder 100 Leute auf so einem Konzert gucken sich das dann an, machen auch mit, einer kauft sich vielleicht dann mal ‘ne Platte und dann gehen die auch nach Hause und haben dich morgen vergessen. Da musst du schon mit irgendwas auftrumpfen, was dich Deutsch sein lässt wie z.B. Rammstein, Kraftwerk oder Neubauten.

All die, die da irgendwie Fuß gefasst haben, die sind ja mit etwas sehr Deutschem berühmt geworden. Die haben einfach deutsche Werte nach Amerika verkauft und das funktionierte. Die Scorpions, um noch ein Beispiel zu nennen, haben ja eine Riesen-Szene hinter sich, diese Hard-Rock, Heavy-Metal Szene.

MusikBlog: Und der Indie-Rock?

Aydo Abay: Die hält überhaupt nicht zusammen. Indie-Rock ist keine Szene mehr, sondern nur vereinzelte Nerds, die irgendwie herumgeistern und nur mögen, was sie selbst entdeckt haben und was noch nicht zu groß ist.

MusikBlog: „Rhapsody In Red“ hat einen interessanten Entstehungsgrund.

Aydo Abay: Der Leiter des Goethe Instituts, ein Deutscher, der vorher in Japan und dann in Ankara war, und wir hatten Kontakt bezüglich einer Zusammenarbeit. Er hat uns dann gefragt, ob wir dieses Lied zum 60. Geburtstag für das Goethe Institut schreiben wollen. Das haben wir dann gemacht. Leider hat er den Song nicht mehr erlebt, er ist einen Monat, bevor der Titel fertig wurde, verstorben. Ohne ihn hätte es das Lied nicht gegeben und das war auch ein Wegbereiter für die Platte. Es war ja das erste Lied, was wir aufgenommen haben, weil wir einen Auftrag hatten. Deswegen ist der Song auf dem Album.

MusikBlog: Passend zum Alt-Jung-Spiel heute, abschließende Worte an Jungmusiker?

Aydo Abay: Es ist schwierig, Kindern irgendwas zu sagen, die müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass junge Musiker zu einem gewissen Strebertum neigen. Ich würde mir wünschen, dass die alle nicht selbstverliebt, aber cool aus der Reihe schlagen würden. So ein bisschen die Gefahr des Moments in die Musik lassen, vor allem ihre Präsenz.

Ich habe den Eindruck, dass alle so angepasste Spießer sind. Wenn du dich mit denen unterhälst, dann denkst du manchmal „Ach du scheiße, wer hat denn dir ins Gehirn geschissen!“ Die sind unfassbar fleißig, unfassbar strebsam, aber mir fehlt dann doch so der Kick. Wenn ich junge Musiker coachen müsste, würde ich ihnen immer sagen: Sei bekloppt, brich mal aus dir raus!

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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