Dass wesentliche Protagonisten des deutschen Diskurs-Pop nach ihrem Reunion-Gig in der Düsseldorfer Club-Legende zakk im vergangenen Dezember es für zwingend erforderlich hielten, den gemeinsamen musikalischen Faden wieder aufzunehmen, Tour und neue Songs zu planen, versetzte jene, deren musikalische Sozialisation wesentlich mit Blumfeld verbunden ist, in freudige Erwartung.
Entsprechend gefüllt war am gestrigen Freitag mit dem Conne Island der Ort, an dem die Vordenker von dem, was als Hamburger Schule in die Musikgeschichte eingehen sollte, sich zu Hause fühlen und in der Vergangenheit mehr als nur eine Großtat vollbrachten.
Einen Support braucht es nicht, kurz nach neun betreten Blumfeld im Original Line-Up, Jochen Distelmeyer, Eike Bohlken und André Rattay, die Bühne, unterstützt zunächst vom Instrumenten-Allrounder Daniel Florey, später wird noch Vertrauensmann Tobias Levin („Das Langweiligste an der Hamburger Schule ist das Wort Hamburg. Das Zweitlangweiligste daran ist das Wort Schule!“) dazu stoßen.
Ein Schluck aus der Pulle und los geht’s, auf der „Love Riots Revue“, wie die aktuelle Tour genannt wird, allerdings nicht mit einer Blumfeld-Nummer, sondern mit „Einfach So“ von Distelmeyers Solo-Debüt „Heavy“.
Folgen wird ein zweistündiger Querschnitt durch die Diskografie, in dem beinahe jeder Song angesichts der aktuellen politischen Großwetterlage und der Verortung des Individuums in selbiger – inhaltlich brisant wie eh und je – bleibt, als hätte Freidenker, Visionär und inzwischen Literat Distelmeyer die soziologischen Gefahren der Neuzeit bereits in den 90ern antizipiert.
„Von Der Unmöglichkeit „Nein“ Zu Sagen, Ohne Sich Umzubringen“, „Ich – Wie Es Wirklich War“, „Aus Den Kriegstagebüchern“ – jeder im Auditorium kann den Stücken individuelle Lebensabschnitte zuordnen. Ob vom Urknall „Ich-Maschine“, dem eloquenten „L`ètat Et Moi“, dem von stilistischen Brüchen durchzogenen „Old Nobody“, dem Plakativen aus „Testament Der Angst“ oder der Weisheit aus „Jenseits Von Jedem“ – alle Platten sind im Set vertreten. Lediglich Inhalte des polarisierenden Spätwerks „Verbotene Früchte“ bleiben außen vor.
Das Publikum möchte aber nicht nur in andächtiger Nostalgie schwelgen, sondern seine Begeisterung für das Erlebte auch körperlich ausdrücken. Umfassend praktiziert, hilft dies, das tropische Feeling im Saal auf einem konstanten Level zu halten.
Die Band schwitzt mit, der Seitenscheitel des Frontmanns („ich mag`s gern etwas schwitzig“) verliert rasch den Halt, mit ehrlicher, beinahe infantiler Freude verfolgt er das Treiben zu seinen Füßen, unterhält mit launigen Ansagen (Downlight: „Ihr seid scharf drauf, ein like!“), dirigiert das Massen-Karaoke zu „Wir Sind Frei“ und der geposteteten Verneigung zum 30jährigen Bestehen der Label-Institution Buback sowie tanzt zum Halbplayback-Modus von „Tausend Tränen Tief“, wie immer leicht neben dem Beat.
Dennoch gelingen nicht alle überarbeiteten Interpretationen der Stücke, driftet der knochige Indie von einst in breitbassigen Blues ab. Zuviel Instrumente schaden insbesondere „Pickelface Ist Back In Town“ und unversehens landet man gedanklich am 29. Januar des Jahres 1999, als im Hallenser Casino Böll der Strom ausfiel und Jochen Distelmeyer mit einem herbei improvisierten Klavier unplugged performte – weniger ist manchmal eben mehr.
Die Songs, bei denen es die Blumfeld-Mitglieder schaffen, sich zu synchronisieren, bleiben unsterblich mit dem gestrigen Konzert verbunden, was in dieser Intensität vermutlich in den letzten Wochen nicht alle Stationen der Tournee erleben durften.
Von den Frühwerken schafft dies vor allem „2 oder 3 Dinge, Die Ich Von Dir weiß“. „Pro Familia“ überzeugt ebenso, wie „Draußen Auf Kaution“ zu Beginn der ersten (von insgesamt vier) Zugaben zu einem Höhepunkt des Konzertes wird, das unsterbliche „Verstärker“ ist und bleibt in dieser Kategorie ohnehin gesetzt.
Der „Penismonolog“ setzt den Schlusspunkt und die vier Erkenntnisse des Abends lauten:
1. Jochen Distelmeyer wechselt die Gitarren schneller als der US-Präsident seine Meinung.
2. Die Welt ist immer noch im Rückstand gegenüber der Moral der Geschichte.
3. Das Finden eines Platzes zwischen Verstehen wollen und Handeln müssen bleibt auf ewig ein schwieriges Geschäft – und
4. Dieser Zustand ist doch tanzbar.
Danke Blumfeld!