Nach kräftigem Teasern, monatelangem Guerilla-Marketing und einigen, natürlich erfolgreichen, Singles ist es endlich da. Das neue Album von Drake, “Scorpion”. Mit 25 Songs und zwei klar getrennten Parts folgt es dabei offensichtlich nicht dem neuerlichen Minimalismus von Kanye West.
Er legt auch gleich damit los, seinen Anspruch zu definieren. Gottgesandt aber bodenständig inszeniert sich der Kanadier als konkurrenzloser König des modernen Rap.
“Survival”, “Elevate” und “God’s Plan” markieren diesen Anspruch und könnten fast vermuten lassen, Drake würde einfach wieder abliefern, was von ihm erwartet wird. Chart-Hits, etwas weniger Experimentierfreudigkeit als auf seiner Playlist “More Life” aus dem letzten Jahr und etwas weniger Grandeur als auf “Views”.
Ein etablierter Künstler eben, der die großen Ansprüche nicht hinter bombastischer Inszenierung verstecken muss, sondern auf solide Beats rappen kann, begleitet von düsterer Stimmung, wie sie bei seinem Laben, Octobers Very Own, eben dazugehört, oder Gospel- und Jazzsamples in “Emotionless” und “Sandra’s Rose” , die in ihrer Reminiszenz an früheren Hip-Hop wieder moderner sind als industrielle und überladene Produktionen.
Nach 12 Songs könnte man sich begnügt zurücklehnen, wohlwollend abnicken, dass Drake mit Jay-Z auf “Talk Up” hochkarätige Unterstützung bekommt und Straßenpolitik angeht, XXXTentacions plötzlichen Tod einzuordnen versucht in das große Bild des Diskurses über Waffen und Rassismus in den Vereinigten Staaten. Dann folgen aber noch 13 Songs.
“Scorpion” wirkt eher wie zwei Alben. So bezeichnet Drake den zweiten Teil in der ersten Hälfte selbst als tragisch (“Sandra’s Rose”). Persönlich und menschlich wird es auf jeden Fall im zweiten Part, der sich näher mit dem Beef auseinandersetzt, den Pusha T in der ersten Jahreshälfte anzettelte und der sich zu schnell und persönlich abspielte, als dass man an seinem Ende (?) einen klaren Sieger benennen mochte.
Wenn der erste Teil also das Abliefern war, das Meisterwerk eines Pop- und Hip-Hopstars, der nichts zu verlieren hat und dessen Scheitern ohne seine Erlaubnis unmöglich ist, dann ist der zweite Teil das Eingeständnis der Menschlichkeit, ohne im entferntesten am eigenen Thron zu sägen.
Der Teil, den Kanye West auf “Ye” vermissen ließ, der Schlagzeilen relativiert statt die Narrative zu akzeptieren und weiterzuerzählen. Statt sich in Argumentationsgeflechte zu verstricken, die sein Handeln erklären sollen, formuliert Drake schon in “Emotionless”, dass er lediglich Persönliches aus seinem Beruf halten wollte, seinen Sohn schützen und nicht sich selbst.
Eine menschliche Erklärung, die, und das ist am wichtigsten und unüblichsten in der Szene, ohne Konter erfolgt. Drake holt nicht erneut aus, um Pusha T mit einer neuen Anschuldigung, einem direkten Diss, herauszufordern.
Drake errichtet eine Hierarchie und positioniert sich selbst an oberster Stelle. Unangreifbar dank entwaffnender Ehrlichkeit und uninteressiert an weiteren Querelen mit dem Pöbel folgt mit „March 14“ ein gesamter Song über seinen Sohn.
Nicht aus der Defensive, sondern aus dem Bedürfnis der Klarstellung heraus, verpackt Drake das Persönliche in eine zweite Hälfte, die sonst eher an die melancholischen Projekte seines Kollegen und Freundes The Weeknd erinnert.
“Jaded”, “Finesse” und “Final Fantasy” erzählen von den düsteren Fantasien, den Wunden und menschlichen Wünschen, seien es körperliche oder ideelle, während “Don’t Matter To Me” wohl sogar bei Abel Tesfaye für neidische Blicke sorgen sollte. Warum?
Kanye West nannte die “7” auf Michael Jacksons Jacke als Inspiration für seinen plötzlichen Drang, von ihm produzierte Projekte auf sieben Songs zu beschränken. The Weeknd versuchte mit “Starboy” ein ganzes Album lang, R’n’B im Stile von Michael Jackson in die Moderne zu tragen.
Und Drake? Drake lässt Michael Jackson mit unveröffentlichtem Material als Feature auf seinem Album auftauchen. ‘Nuff Said.