Das Lollapalooza. Niemand kann sich so recht einigen, ob das US-amerikanische Festival in Berlin bisher wirklich ein Zuhause gefunden hat. Auf ein relativ reibungsloses Debüt folgten zwei Veranstaltungen, die trotz ihres nominellen Erfolgs immer wieder viel Kritik einstecken mussten. Da waren überlaufene Anfahrtsstellen, problematisch platzierte Bühnen und ein Line-Up, das den alternativen Wurzeln des Festivals zunehmend ungerecht wurde.

Über das Line-Up kann man auch dieses Jahr streiten. Wie es mit dem Rest aussieht? Eine gute Nachricht gibt es vorab: Die Perry’s Stage wurde hinter hohe Mauern in das Olympiastadion verbannt. Hurra! Oder?

Jedenfalls die Anfahrt gestaltet sich problemloser. Die U-Bahnen sind um 12:00 und 16:00 jeweils so leer, dass man nicht am Gleis anstehen muss. Musikalisch geht es am ersten Tag auch hoch her, das Wetter spielt mit.

Während Kat Frankie und The Night Game beide ihre neuen Alben präsentierten, reflektierte sich das ungefilterte Sonnenlicht besonders in den Wangen des jungen Publikums. Blumenkränze und Glitzer-Make-Up erwecken, wie auch in den Vorjahren, den Anschein, auf einem deutschen Ableger des Coachella-Festivals unterwegs zu sein, einer Instagram-Convention mit Hintergrundmusik.

Getanzt wird in den hinteren Reihen meist nur mit dem eigenen Smartphone vorm Gesicht. Einzig im Olympiastadion scheint konstante Feierlaune zu herrschen. Ein Biotop der Euphorie, das am Abend den exklusiven Kreis derer markiert, die sich David Guetta anschauen dürfen. Glückwunsch! Haha. Aber dazu später mehr.

Dass die Perry’s Stage vom Booking und der Platzierung her dieses Jahr zur Main Stage mutiert zu sein scheint, sorgt auch dafür, dass die eigentliche Main Stage, sobald Casper sie betritt, nicht so voll ist, wie erwartet. Das Feld ist voll, keine Frage, aber einen Vergleich zu anderen Auftritten von Casper zu ziehen – man nehme allein die Festivalauftritte dieses Jahres – würde der heutige Auftritt nicht bestehen.

Stimmung macht der Bielefelder Rapper trotzdem, sorgt mit der Unterstützung von Marteria und Drangsal dafür, dass das Publikum einen bewegungsintensiven, frühen Sommerabend erlebt. „Wer nicht hüpft, der ist ein Nazi“ ruft erst der Rapper und dann die Menge, nachdem Casper über die Notwendigkeit politischen Engagements und einer klaren Position gegen Rechts redet.

Das Lollapalooza ist kein politisches Festival, wirkt sonst eher unbekümmert und sorgenfrei. Rechte Politik und Weltanschauung haben hier trotzdem keinen Platz. Menschen jeder Hautfarbe, Sexualität und Nationalität treffen hier aufeinander – nur halt besonders schöne mit vielen Followern.

Später am Abend bieten The National und The Weeknd die Abwechslung, die notwendig ist, um die Massen in Bewegung zu halten, die ein genreübergreifendes Festival wie das Lollapalooza zu einem spannenden machen kann.

Matt Berninger tauscht seine Mütze mit einem Jungen im Publikum und macht damit versehentlich Werbung für einen Energy-Drink. The Weeknd spielt erstmals Songs seiner neuesten EP „My Dear Melancholy,“ live in Deutschland.

Abends dann das, zugegebenermaßen kleine, Fiasko. Das Olympiastadion ist voll und Tausende dürfen David Guetta nicht mehr live erleben. Wenn sie stattdessen zu den Wombats übergewandert wären, hätte man dem Festival jedenfalls die Erfüllung eines unbeabsichtigten Bildungsauftrages attestieren können.

Wahrscheinlicher ist bei der Nähe zur Stadt aber, dass die Masse sich im Zentrum auf Clubs verteilte. David Guetta spielen die da ja auch. Tag eins? Lief.

Tag zwei? Auch. Die glitzernden Menschen von gestern begegnen einem wieder in der U-Bahn. So viele hat man von denen seit Edward, Dracula und Co. nicht mehr gesehen – obwohl – die hier können sich ganz offensichtlich im Spiegel betrachten und machen das auch gern und oft. (Falls Edward ein Spiegelbild hat, entschuldigen wir uns ganz offiziell bei allen Twilight-Fans – Team Edward!)

Hat man erste Vampirtheorien aus seinem Kopf verbannt, kann man sich auf dem Festival gleich bei Giant Rooks in den Armen liegen, bei Rag’n’Bone Man ein Lied mitsingen oder als einer von 50 vor der Alternative Stage stehen und Alexis Taylor zuhören.

Macht Spaß, Wolf Alice sogar noch mehr. Die Briten sind gut drauf, das Publikum auch. Danach geht es zu Freundeskreis, die wieder einmal mit einem pfandsammelnden Schlauchboot durch die Menge treiben und zu Liam Gallagher.

Der steht gewohnt mürrisch vor den größtenteils mit Oasis-Shirts gekleideten Fans, beschwert sich über den Front-of-Stage-Bereich für Leute, die mehr zahlen wollten und schwingt dabei sein Tambourin. Die exklusiven Lolla Circles nehmen tatsächlich mehr als ein Viertel der ersten Reihen ein, drängen wie ein metallener Käfig mitten in den Bereich, in dem eigentlich die größten Fans stehen.

Unglücklich. Gallagher spielt ein etwas blutleeres Set, rotzt die Songs seines aktuellen Albums „As You Were“ und Oasis-Klassiker nur so ins Publikum. Klar, man kennt’s nicht anders, aber normalerweise klingt es besser. Außerdem hat er aufgehört „Sun-shee-ine“ zu singen. Traurig.

Fast fließend geht sein Konzert in das von Imagine Dragons über. Die US-amerikanische Band wirkt dermaßen bereit, dass sie das Set gleich mit ihrem größten Hit, „Radioactive“, eröffnet. Während Frontmann Dan Reynold auf den Boxen herumturnt, reichen ihm Fans und Fotografen eine Pride-Flagge.

Auch Reynold plädiert für Gleichheit und Akzeptanz, aber gegen Politik bei einem Musikfestival. Vermutlich ein gutes Zeichen und bezeichnend für das ganze Lollapalooza, denn um für diese Werte einzustehen, bedarf es keiner politischen Position, einzig einer menschlichen.

Den Abend und das Festival beenden Kraftwerk. Während also ein zweites Mal über „Radioaktivität“ gesungen wird, dazu noch über Autobahnen und die „Tour De France“, verlässt ein beträchtlicher Teil der Besucher*innen schon das Gelände, oder tobt sich noch einmal an den, jetzt weniger bedrängten, Modeständen aus.

Die Perry’s Stage ist wieder einmal überfüllt, vor der Main Stage bei Kraftwerk weniger los als mittags bei Rin. Die Second-Hand-Stände sind immer noch gut genug sortiert, um diejenigen, die Kygo nicht hören können, vor den Düsseldorfern zu schützen.

Ein schönes Wochenende, aber das mit dem Bildungsauftrag überdenken wir nochmal.

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