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Drangsal – Live im Uebel Und Gefährlich, Hamburg

Die U-Bahn-Haltestelle Feldstraße ist überlaufen. Angetrunkene Gestalten wechseln sich ab mit weinenden Kindern und übergroßen Kuscheltieren. Klingt ganz nach einem Drangsal-Konzert, oder? Klar, trotzdem werden wir das Gefühl nicht los, dass da am Heiligengeistfeld doch noch irgendetwas anderes los ist, als das Konzert von Max Gruber, dem geistigen Nachfolger von Michael Schulte und dem liebsten Liebling von Casper, und Band.

„Dom“ steht da auf einem leuchtenden Schild. Kirmes? Später. Jetzt erst mal Bunker und rauf in den vierten Stock, wo im Uebel & Gefährlich gleich Pabst den Abend eröffnen sollen. Machen sie auch. Wer sie googlet, wird von der Suchmaschine gefragt, ob er das Oberhaupt der katholischen Kirche meint.

Meint man nicht. Statt Morgenpredigt gibt es das Britischste, was man von einer deutschen Band gehört hat seit – na sagen wir mal – US5. Pabst machen mit ihrem aktuellen Debüt „Chlorine“ allerdings wirklich Bock und klingen so unironisch, dass man fast nicht glauben mag, dass sie aus Berlin kommen. Am Ende gibt es vom zahlreich erschienenen Publikum großen Applaus und das Versprechen seitens der Band, Drangsal gleich auf die Bühne zu lassen.

Passiert dann auch. Drangsal betritt mit schwarz-weißem Trainigsanzug die Bühne und beginnt den Abend mit „Jedem Das Meine“ vom aktuellen Album „Zores“. In der vorderen Hälfte des Klubs wird lauthals mitgesungen, während Gruber sich durch die ersten Songs arbeitet.

Auf „Will Ich Nur Dich“ folgt „Do The Domniance“ und jedenfalls eine kleine Gemeinsamkeit mit dem Volksfest nebenan – „Dom“, haha. Volksfest-Charakter kann man dem Konzert von Drangsal auch nicht vollends absprechen.

Während Gruber „Magst Du Mich (Oder Magst Du Bloß Noch Dein Altes Bild Von Mir)“ singt und sein aktuelles Musikvideo zu „Und Du?“ mit Lars Eidinger bewirbt, singt das Gefolge mit. Schals werden in die Höhe gestreckt und T-Shirts – wenn auch nur in Einzelfällen – ausgezogen.

Drangsal vermengt in seiner Live-Performance Sounds aus unterschiedlichen Epochen der Rock- und Popmusik. In manchen Sekunden fühlt man sich an den Pop der 80er und Bands wie Duran Duran erinnert, in anderen wirkt die orgasmatische Mimik des jungen Herxheimers eher wie die eines jungen Morrissey, der Lieder von Fall Out Boy auf Deutsch übersetzt.

Das Publikum und die melodischen Refrains pendeln dann irgendwo zwischen deutscher Rockmusik aus den 90ern und Emo-Pop aus den 2000ern. Man könnte das Ganze also offensichtlich als Mischung aus Vielem verklären, könnte man aber auch lassen.

Denn der Wechsel zwischen Deutsch und Englisch, von „Love Me Or Leave Me Alone“ zu „Laufen Lernen“, klingt so, wie in Deutschland seit langem nichts mehr geklungen hat, was man irgendwie als Trend beschreiben könnte.

Gruber spielt sich vor seinem riesigen „Z“, das den Hintergrund der Bühne bedeckt, nicht wie ein unnahbarer Musiker auf, sondern verzichtet auf Phasendrescherei, begegnet auf Augenhöhe und ist dankbar für das Publikum.

„Hamburg ist geiler als Berlin”, sagt er sinngemäß und erntet selbstverständlichen Applaus dafür. Auf ein „ACME“ und das vorläufige Ende folgt eine Zugabe, in der „Turmbau Zu Babel“ und „Allan Align“ nicht fehlen dürfen. „Kennt ihr den noch?“ fragt er bei Zweiterem, dem größten Erfolg des ersten Albums „Harieschaim“. Kennt natürlich jeder, singt natürlich jeder.

Drangsalist*innen, Drangsalett*innen, Drangsalosis. Keine Ahnung, wie man die Fans von Max Gruber nennt, oder wie sie sich selbst nennen. Sympathisch sind sie so oder so, weil jeder aufmerksam dem lauscht, der vorne steht, weil höchstens mal jemand durch die Reihen drängt, um Bier zu holen, und weil selbst diejenigen, die hinten stehen, den Blick nach vorne richten. Kann halt keiner weggucken.

Genau so wenig, wie man wegschauen kann, wenn man aus einem der Fenster des Klubs den Dom sieht. Und wenn es mit dem ESC schon nicht geklappt hat, ist die logische Konsequenz doch wohl nur das Streben nach der nächsthöheren Ehre.

Der Aufnahme in die Playlist des benachbarten Auto-Scooters oder des Riesenrads oder des Break-Dancers. In seiner Diskographie wäre für jedes Fahrgeschäft was dabei, und das nach nur zwei Alben. Wir sitzen im Karussell und warten. US5 läuft hier schon.

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