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Snail Mail – Live im Molotow, Hamburg

Das Molotow in Hamburg hat zwei Eingänge. Einer ist vorne, direkt an der Bühne. Bei ausverkauften Konzerten kommt es immer mal wieder vor, dass sich vor dieser Tür das Publikum staut oder ganze Reihen ausweichen müssen, zur zweiten Tür. Die ist ganz hinten und lässt jeden, der den kleinen Klub auf der Reeperbahn betritt, direkt mit frontalem Blick auf Bühne und Bar blicken.

Am gestrigen Dienstagabend ist es sogar problematisch durch die hintere Tür in die kleine Halle zu kommen, vorne beinahe unmöglich. Wer’s trotzdem versucht, wird für den Rest des Konzerts den einmal gewählten Platz sicher nicht verlassen. Was der Grund dafür ist? Snail Mail aus den Vereinigten Staaten, die mit bürgerlichem Namen Lindsey Jordan heißt und ihr, von Kritikern und MusikBlog gefeiertes, Debütalbum „Lush“ tourt.

Ein Album füllt keinen Abend, weswegen Sasami, der Support-Act dieses Abends, ein großzügiges Set spielen darf. Aus Los Angeles bringt sie kathartischen Gesang mit viel Hall mit, der zwischen verzerrten Gitarren und erfrischend unbemühtem Auftreten bereits den ganzen Klub ausfüllt.

Während ein paar Leute noch draußen in der Schlange warten, andere sich am gleichen Ort noch in letzter Minute ein Tickets besorgen wollen und wiederum andere im Hinterhof grübeln, welchen Eingang sie nehmen sollten, spricht Sasami schon von Snail Mail. Wie es sich für einen Support-Act gehört, wird also mindestens einmal die Gefühlslage abgetastet und der Name des Headliners gedroppt.

Gegen Ende ihres Sets findet Sasami heraus, dass Snail Mail auf Deutsch Schneckenpost heißt: „That fucking is fucking cute.“ Denken sich mit Sicherheit auch einige im Publikum, das nach dem Set in aufgebrachter Ziellosigkeit nach Wegen sucht, aus der eindimensionalen Zelle auszubrechen. Viele gehen raus, vorne geht nichts.

Snail Mail kommt dann zweimal auf die Bühne. Beim ersten Mal werden Gitarren gestimmt und Mikrofone getestet, beim zweiten Mal wird gesungen. „Heat Wave“ von ihrem Album „Lush“ und „Dirt“ von der EP „Habit“ lassen dann jedenfalls schon reichlich Köpfe nicken.

Die jugendlich klagende Stimme wird von einer Band begleitet, die unbeeindruckt die Stimmung einfängt, die ihre Lieder ausdrücken. Lindsey Jordan redet zwischen den Liedern wenig, was auch daran liegen mag, dass ein Großteil der Tracks lückenlos ineinander übergeht und verschwimmt.

Von „Golden Dream“ bis „Pristine“ zieht sich der Modus einer leicht abgefuckten Teenagerin durch die Performance. Man fragt sich, woher diese unbewegte, gleichgültige, aber gleichzeitig emotionale Stimme kommt, bei einer Sängerin, die nicht nur Teenager-Themen verbaut, sondern selbst noch einer ist.

Denkt man darüber zu viel nach, fallen einem auch die Sekunden im Gesang Jordans auf, in denen sie die leidende Stimme etwas verzögert und nur nach leichtem Pressen herausbekommt, dann manchmal selbst von der plötzlichen Intensität ihrer eigenen Stimme überrascht zu sein scheint.

Stört aber niemanden. Das Publikum ist ein dankbares, lacht über die Geschichte von Jordans letztem, unfreiwilligen Besuch, in der Hansestadt – sie schlief im Zug nach Berlin ein – und bleibt ansonsten still, lässt das Set Set sein.

Snail Mail ist noch kein Superstar und mit Sicherheit nicht die Retterin des Indie-Rocks. In einer Kultur, die Debütalben gern zu polarisierenden Meisterwerken und Newcomer zu zukünftigen Ikonen stilisiert, hat Lindsey Jordan das einzig Vernünftige getan und ihr kleines Oeuvre in kleine Hallen gebracht.

Manche gehen also in dem Gewissen nach Hause, die Hoffnung des Rocks live gesehen und ganz am Anfang dabei gewesen zu sein. Andere gehen mit dem Wissen darüber nach Hause, ein überdurchschnittlich gutes Konzert gesehen zu haben.

Und eigentlich tun letztere allen besser, der Künstlerin, der Musik und der Szene.

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