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Julia Holter – Live in der Brotfabrik, Frankfurt

Ein Julia Holter-Konzert ist avantgardistischer Traumtanz zu höchster Musikalität. Ein Panoptikum des kreativen Los Angeles, das Blüten treibt, von denen man bisher noch nicht einmal ahnte.

Wer dachte, Julia Holter sei mit „Have You In My Wilderness“ vor drei Jahren weich geworden, weil sie die Tür einen Spalt weit dem Pop öffnete, um damit den Gesetzen des Musikmarktes wenigstens ein kleines bisschen Rechnung zu tragen, der muss seine Position zu ihr mit dem neuesten Album „Aviary“ erneut neu aushandeln.

Postmoderne Avantgarde par excellence und Ungehörtes, wie sie es in dieser abstrakten Radikalität noch nie durchgezogen hat, sind Reaktion auf ihre zwischenzeitliche Einladung, sie mit wunderschöner Zugänglichkeit näher kennen zu lernen.

Entsprechend eröffnet sie ihr gestriges Konzert am Piano mit dem Rücken zum Publikum. Und das kammermusikalische Instrumentarium ihrer neuesten Platte spiegelt sich eins zu eins in den Händen ihrer fünköpfigen Band wider – inklusive Dudelsack.

Verlässt ein Teil der durchgestylten Hochschulmusiker die Bühne, schaut sich Holter erst verwundert um, bevor sie der Blick auf die Setlist daran erinnert, dass es Zeit für einen weiteren Piano-Song ist.

Steht sie allerdings vorne an ihrem Synthesizer, muss der bestuhlte Saal der Frankfurter Brotfabrik Holters unschuldigen Dackelblick mit der Musik für Ausdruckstanz in Deckung bringen und scheitert doch viel zu oft schon am Verständnis für ihr Outfit aus schwarzen Shorts über roten Strumpfhosen.

Doch nur, weil die Komplexität auf der Bühne manches Mal das Fassungsvermögen übersteigt, heißt das nicht, dass die Schönheit der Kompositionen nicht omnipräsent wäre und durch fiepende Stimmen und quietschende Blasinstrumente dringt.

Gerade Holters Trompeten-Spielerin stellt dabei immer wieder Wahnsinniges mit ihrem Instrument an. Die live gespielten Effektgeräte zwischen den Ventilen haben Seltenheitswert. Im Zusammenspiel mit der ebenfalls herausragenden Violinistin und Zweitstimme spielen sich die beiden Damen in rot kongenial die Bälle zu, die um Holters Stimme und ihr Piano tanzen.

„Dance till you die“ ist dann auch eine der vielen charmanten Aufforderungen der studierten Elektro-Musikerin Holters, die sich die Haare aus dem Gesicht streicht, „under the moon“ ergänzt und sich für ihre schlechten Deutschkenntnisse entschuldigt. „We’re just stupid Americans“, sagt sie, bevor ein Schellenkranz und erneuter Dudelsack-Einsatz sowieso alles reinwäscht, wo es gar nichts zu entschuldigen gibt.

Der Saal hat weniger Stühle als Besucher und manch einer steht gezwungenermaßen genauso im Raum wie die Songs von „Have You In My Wilderness“. Wegen solcher Fixpunkte wie „Feel You“, „Silhouette“ oder „She Calls Me Home“ herrscht ja letztlich überhaupt erst Platzmangel in der Brotfabrik.

„Brotfarbrik“ daran zerbricht sich Holters auch einige Male die Zunge und kündigt die Zugabe „Why Sad Songs“ als „Warum traurige Lieder“ an. Wer solch anspruchsvolle, außerweltliche und zauberhafte Musik macht, muss sich eben immer wieder aus der Komfortzone bewegen.

Die Zuschauer werden dafür mit einem in jeder Hinsicht andersartigen und außergewöhnlichen Konzerterlebnis belohnt, das mit „Betsy On The Roof“ ganz leise endet.

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