Rockmusik wird schon fast so lange totgesagt wie es sie gibt – immer mal wieder. Aktuell sind die deutlich zurückgegangenen Absatzzahlen von Gitarrenhersteller Gibson und der damit verbundene Insolvenzantrag des Unternehmens Mitte 2018 Anlass für den Abgesang. Es mangele an Vorbildern, beklagt die Unternehmensleitung.
Wahlweise verweisen die Scharfrichter des Rock (und das zum Teil zu Recht) auch auf die immer gleichen Headliner bei Festivals, wo es den Veranstaltern offenbar an Alternativen fehlt, weil nur noch eine geringe Anzahl wirklich großer Rockbands zur Verfügung stehe, wovon die allermeisten den Grundstein ihres Erfolges wiederum noch im alten Jahrtausend legten.
Und dann steht man heute bei The Joy Formidable im Frankfurter Nachtleben, dem kleinen Ableger der Batschkapp, das trotzdem nur gut halb gefüllt ist – vornehmlich mit älteren Männern, die ihre Frauen dabeihaben, oder umgekehrt. Die Lederhosen tragen oder mit Turnbeuteln auf dem Rücken schütteres Haar und Bierbauch konterkarieren.
Und da steht dieses walisische Power-Trio auf der Bühne, spielt sensationellen Alternative-Rock und zieht statt eines jungen Publikums vor allem Junggebliebene an – und davon nur die Hälfte. Werden die Totengräber des Rock dieses Mal Recht behalten? Und ist das hier ein Paradebeispiel einer schleichenden Verpuffung?
Man fragt sich unweigerlich:
Warum interessiert es so wenige, wenn Rhiannon „Ritzy“ Bryan mit weit aufgerissenen Augen und vollem Körpereinsatz über die Songs ihres aktuellen Albums „Aaarth“ herfällt und dabei singt und soliert, als wäre Rockmusik schon immer Frauen-Sache und nicht etwa Jahrzehnte langes Patriachat der Ungleichheit?
Warum interessiert es so wenige, wenn Bassist und Keyboarder Rhydian Dafydd seine Leadsängerin mit zweiter Stimme unterstützt und für die smoothen Übergänge zwischen älteren und neuen Songs sorgt? Überhaupt: Wie gut sind doch „The Greatest Light Is The Greatest Shade“ oder „Whirring“ vom 2011er Debüt gealtert.
Warum nehmen so wenige Notiz von einer Frontfrau, die charmant aus dem Nähkästchen plaudert? Sie lebe jetzt in Utah. „Because I hate people“, sagt Ritzy Bryan. In Wales kann man sich prima in einem Tal verstecken, in Utah hat man dafür einen ganzen Canyon. Und by the way: „In Wales everybody is high on drugs all the time“.
Die Sängerin untermauert das Understatement der Band mit zwei Akustiksongs in der Mitte des Sets und fragt dann wieder Dinge wie „How do you say motherfucker in German?“ – natürlich mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie singt den walisischen Song “Y Garreg Ateb“, bevor es mit der artpoppigsten Nummer „Cicada (Land On Your Back) aus ihrem aktuellen Album ins Finale geht.
Dabei sind Hymnen, wie das energetische „This Ladder Is Ours“ gar nicht gemacht für Understatement. Das ist Musik, die nicht in einen Keller, sondern in die Arena gehört.
Sie findet den Weg dorthin nur leider höchstens, wenn The Joy Formidable als Support-Band von Sir Paul McCartney, Foo Fighters und The Black Keys auftreten, oder wie zuletzt in Frankfurt, als Vorband von Placebo.
Dass die Veranstaltung heute Abend mehr als drei Nummern kleiner ausfällt, ist nicht die Schuld der Band. Nur wessen Schuld ist das denn eigentlich? Warum interessiert es so wenige?
Hier wäre sie doch, die stadiontaugliche, vergleichsweise junge Band mit Ohrwurmcharakter, einer charismatischen Frontfrau, mit dem Potenzial für ein weibliches Gitarrenidol.
Stattdessen ist der Support-Act Meilir gleichzeitig Roadie. Ja, selbst Schlagzeuger Matthew James Thomas und Rhydian Dafydd am Bass sind Roadies ihrer eigenen Band. Höchst persönlich verkauft die ganze Band anschließend Merch. Und diese Tuchfühlung mit den Protagonisten ist das positivste, das sich der Situation abringen lässt.
So sieht das wohl aus, wenn der Rock-Zirkus auf Sparflamme eingekocht wurde. Und wäre diese Band nicht so gut, dann würde diese Show auch nicht mehr Fragen aufwerfen als beantworten.