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Peter Doherty And The Puta Madres – Peter Doherty And The Puta Madres

Wenn Peter Doherty im Mai mit den Puta Madres auf Deutschlandtour kommt, meint man, das Crowd-Profil bereits zu kennen: überwiegend Männer zwischen 25 und 35 Jahren, ausgestattet mit nimmermüder Indie-Affinität und geistessteifer Popverdrossenheit.

Wenn der analoge Poesie-Begriff einem Stamm zeitgenössischer Musiker noch zu Gesicht stehen sollte, dann thront Peter Doherty als exaltiertes Abziehbild des neumodernen Dandys auf dem Podest künstlerisch verklärter Bewunderung.

Wer schon zur Hochphase der Class-of-2005-Ägide The Libertines oder die Babyshambles bewunderte, tat das nicht nur aus interesselosem Wohlgefallen. Genauso wie sich das verletzliche enfant terrible in völlig eigentümlicher Pose gegen kernigere Rockstereotypen wie The Strokes, Arctic Monkeys oder Franz Ferdinand positionierte, so stilsicher machten sich auch seine – nochmal: zumeist männlichen – Fans den Part des missverstandenen Weltverstehers zu eigen.

Unter diesen Gesichtspunkten ist der Mann, der sich zeitweilig in Hamburg von den Konsequenzen seiner Heroinsucht (übrigens auch ein Stilmittel zur Kuratierung seiner stage persona, bedenkt man, dass er dies auf diverse von ihm verehrte Schriftsteller zurückführt, die ihrer Zeit Opium für sich entdeckten) erholte, ein emotional-empathischer Nischenmarketer: 

Wo sich Alex Turner und Co. eben nicht mit weinerlichem Selbstmitleid dekorierten, etablierte Doherty einen Kult sophistizierter Weltmüdigkeit, dessen Ausweg – das Fuck-Forever-Mantra formuliert das im Grunde wortwörtlich – die hedonistische Gleichgültigkeit war. Kurzum: Wenn schon sterben, dann als Exempel, was vielleicht auch heißt: mit Nadel im Arm.

Fragt sich die yellow press anlässlich des kürzlichen Wiegenjubiläums also, wie Peter Doherty überhaupt 40 Jahre alt werden konnte, bezieht sich das nicht nur auf einen Mann, der mit Überdosen in etwa so fahrlässig kokettierte wie Diabetes-Patienten mit Triple-Choc-Cookies, sondern auch auf einen öffentlichkeitswirksamen Rock-Libertin, aus dem man als mystifizierten Toten immerhin noch hätte Kapital schlagen können:

Amy Winehouses angedachte Hologramm-Tour oder Kurt Cobains 25. Todestag Anfang des Monats haben ja eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie sich das retromanische Begehren dahin geschiedener Rock- und Pop-Hero*innen ökonomisch vereinnahmen lässt.

Was also bleibt vom möglicherweise letzten Moleskine-Fetischisten im Indie-Biz, wenn er nun auf die 50 zugeht und dabei auch noch halbwegs clean bleiben sollte?

An einer Antwort versucht sich das selbstbetitelte „Peter Doherty & The Puta Madres“, auf dem ehemalige Tourbegleiter, abgehalfterte Straßenstreuner und Dohertys neue Freundin Katia DeVidas wahlweise die „Affengeilen“ oder die „Hurensöhne“ geben. Den Wortspielen ist der Brite nicht abtrünnig geworden.

In einem normandischen Fischerdorf hat die Band 11 Tracks eingespielt, die Peter Doherty in jedem Fall die Relevanz attestieren, die ihm so mancher Kritiker schon absprach.

In Titeln wie „All At Sea“ stehen dann passenderweise Selbstreflexionen auf der Tagesordnung, wobei die gelassen-süßliche Akustikbegleitung des Tracks im ein oder anderen Ohr als Rast, Ruhe und Rückzug wahrgenommen werden könnte.

„Paradise Is Under Your Nose“ lässt derweil eine Gegenannahme dieses Biedermeier-Eingeständnisses vermuten: Meint er hier den Moment achtsamer Gegenwärtigkeit, das wortwörtliche Paradies unter der Nase, ganz gleich, wann man sich wo befindet oder doch bloß Koks?

Neben all den verklausulierten puns, die Doherty noch immer drauf hat, bezeugen auch die Puta Madres, dass ihre musikalische Vielseitigkeit ansatzweise mit derer der Vorgängerprojekte mithalten kann.

So halten sich auf „Peter Doherty & The Puta Madres“ Bluegrass-Elemente wie in „Narcissistic Teen Makes XI“ mit verspielten Wurlitzer-Keys und Geigenläufen aus „Someone Else To Be“ die Waage.

Für Anhänger der mittleren 2000er ist „Lamentable Ballad of Gascony Avenue“ bestimmt eines der großen Highlights:

Vverrauchter Kaschemmen-Rock mit jazzig-karibischer Crossover-, Dub- und Reggae-Infusion sowie The Doors-reminiszierender E-Orgel liefern hier die aufregende Kulisse für einen parodierenden Querschnittsreport der Generation Brexit, während „The Steam“ mit Blues-Rock und galoppierendem Western-Twang an den Achillesfersen kitzelt.

Das post-punkige „Shoreleave“ überhöht indes die Doppeldeutigkeit aus Heroinentzug und Reifeprozess. Dass Shore nämlich nicht nur synonym für Heroin steht, sondern „Shoreleave“ auch den Moment definiert, in dem Seefahrer buchstäblich wieder Boden unter den Füßen kriegen, spricht für Dohertys narzisstisches und um Mitleid quengelndes, wenngleich aber immer auch bildhaftes Metaphernrepertoire.

Wie man seinen Stellenwert auch sehen mag, „Peter Doherty & The Puta Madres“ ist der legitime Ausgangspunkt für 40 weitere Jahre dieser am Ende doch sehr exzeptionellen Kunstfigur.

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