Es ist fast schon von bezeichnender Dramatik, dass Faber, als die alles beschließenden Headliner, am Sonntag Abend im Palastzelt, in Mitten eines knienden Publikums, akustisch das alte Partisanen-Stück „Bella Ciao“ anstimmen. Es zum Schlusspunkt eines Festivals machen, das es nächstes Jahr nicht geben wird.
Müde sei Veranstalter Timo Kumpf, wie er in einer Mitteilung lange vor Festivalbeginn erklärt hatte. Er brauche eine Pause, deshalb wird es kommendes Jahr keine zehnte Auflage geben. Dass das Jubiläum stattdessen 2021 nachgeholt wird, ist zwar angedacht, aber keinesfalls gesichert.
Und so steht die neunte und vorerst letzte Auflage des stilsichersten Festivals der Republik auch unter wehmütigen Vorzeichen. Es könnte ein Abschied sein. Umso lauter sollen noch einmal die Sektkorken knallen.
Gesagt, gebucht. Denn das unterstützt im wahrsten Sinne des Wortes aktuell wohl niemand exzessiver als Mike Skinner. Der Brite verabreicht am Samstag mit The Streets dem Palastzelt eine Champagnerdusche, wie sie das Maifeld noch nicht gesehen hat.
Auf seiner Tour gibt er immer den zügellosen Entertainer, macht aus jedem Abend seinen eigenen Samstag. Doch selbst für ihn scheint es hier und heute etwas Besonderes zu sein, wenn er mit Steckenpferd in der Hand über die Menge crowdsurft, dabei „Fit (But You Know It)“ raushaut und gewohnt selbstsicher betont: You paid the ticket to see the fucking Streets. Right? Recht hat er.
An die Impulsivität und den Witz dieser Show reicht an diesem Wochenende nichts heran. Überhaupt ist britischer Hip-Hop der große Überzeugungstäter des Festivals und holt dieses Mal fast im Alleingang die Kohlen aus dem Feuer.
Am Tag davor bellt sich Jason Williamson durch den Hass seiner Sleaford-Mods–Texte. Sein Produzent und Bandkollege Andrew Fearn tut erst gar nicht so, als würde er irgendetwas anderes machen als per Klick am MacBook den nächsten Beat zu starten.
Er hat ansonsten eine Hand in der Hose, eine am Bier und brüllt nach Lust und Laune das Gift und die Galle seines Frontmanns mit. Das ist die Antithese zu David Guetta und gleichzeitig so unterhaltsam wie originär.
Ihre Landsfrau Kate Tempest trägt am Tag danach ihre gesellschaftskritischen Essays im Zelt vor. Als sie vor zwei Jahren draußen das Festival beehrte, machte sie den tougheren, dieses Mal den nachdenklicheren Eindruck – und trotzdem wieder alles richtig.
Das Zelt ist bei den hohen Temperaturen für Acts vor Sonnenuntergang allerdings eine Herausforderung. Die Luft ist zum Schneiden, der Schweiß läuft in Strömen. Glück hat, wer, wie De Staat, die Menge draußen begeistert. Die durchgeknallten Holländer sind einer von zwei herausragenden Rockacts, auf einem Festival, bei dem Rock dieses Jahr nicht die ganz große Nummer ist.
Neben Hip-Hop ist es der elektrifizierte Indie von Hot Chip und die Beats von HVOB und Monolink, die dominieren und die Besucher-Generationen auch mal dividieren. Die über das Prädikat solide aber genauso wenig hinauskommen, wie die alten Indie-Recken Stephen Malkmus & The Jicks oder Teenage Fanclub.
Kleinere Acts, wie die französischen Post-Metaller Alcest oder die Berlinerin Charlotte Brandi mobilisieren weniger Masse, dafür ihre ganz eigenen, enormen Qualitäten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Denn es ist auch dieses Jahr die bunte Vielfalt, die im Zweifel den alternativen Künstlern die Vorfahrt lässt und über den einen oder anderen Mainstream-Act hinwegsieht.
So zieht der am Ende gar nicht mal mehr so geheime Secret-Act AnnenMayKantereit am Samstag Nachmittag die Massen auf den Parcours D’Amour. Noch mehr Leute wollen wenig später Von Wegen Lisbeth sehen.
Die wirklichen Cool-Kids sind da aber alle bei Yassin und schimpfen zusammen mit dem Rapper auf die Kohle, die die Welt regiert. Er ist im neu gestalteten Brückenaward-Zelt die überzeugende deutsche Beteiligung an einer rundum perfekten Hip-Hop-Kante des Festivals.
Auf der Habenseite des Rock wiegen neben De Staat schlussendlich die fantastischen Tocotronic am schwersten. Bei strahlendem Sonnenschein lotsen die Hamburger-Schule-Kumpels unter dem Motto „Let There Be Rock“ durch das ganze Gefühlsspektrum Lowtzowscher Weisheiten.
Es ist ein Auftritt, der garantiert zum Besten zählt, was ihre aktuelle Tour zu bieten hat – und der entscheidende Wermutstropfen zuviel im Fass der bevorstehenden Pause.
Denn sind wir ehrlich: Beim Blick auf das insgesamt nicht ganz so hochkarätige Line-Up, war im Vorfeld und selbst noch am Freitag, nicht so sicher, dass das vorerst letzte Maifeld Derby nicht auch das erste sein wird, das mit seinem Vorgänger nicht mithalten kann.
Da die gesetzten Hochkaräter, allen voran The Streets und Tocotronic, allerdings so sensationell abgeliefert haben, war diese mehrfach zu vernehmende Einschätzung völlig unbegründet.
Man kann deshalb hier nur inbrünstig hoffen, dass es kein Abschied für immer war. Fakt ist: Die Festivalsaison wird 2020 um eines ihrer absoluten Highlights ärmer sein.