Zurücklehnen, das Licht dimmen und in der schwelgerischen Melancholie der Tindersticks versinken – mit Zugriff auf ihr neues Album „Distractions“ ein plausibles Vorhaben.
Was hingegen machen die Grand-Seigneurs des Chamber-Pop? Steigen ein mit der wahrscheinlich tanzbarsten Nummer, die man je von ihnen gehört hat, lassen in den rhythmischen 11 Minuten von „Man Alone (Can`t Stop The Fadin’)“ den Gummi-Bass federn, die Autos hupen, den Regen rauschen, dazu skizziert Stuart A. Staples im fiebrigen Mantra das Verhältnis Mensch/Zukunft.
So viel Energie folgt die leise Einkehr, „I Imagine You“ flüstert es aus der hintersten Zimmerecke in der vertrauten Sprache einer Band, die ihr gemeinsames Schaffen ein weiteres Mal neu definiert, ihr Gefüge in anderer Form auslotet und trotz des Einsatzes vertrauter Elemente des Tindersticks-Vermächtnisses keinen nostalgischen Nachgeschmack hinterlässt.
Souverän steuert das Kollektiv durch seinen stillen Umbruch, lässt die Säge singen, die Streicher seufzen. Gelegentlich übernimmt ihr Frontmann die Solo-Gitarre, in Neil Youngs „A Man Needs A Maid“ bekommt sein prägender Gesang Gesellschaft von der langjährigen Tindertsticks-Background-Soul-Stimme Gina Foster.
Der Song bleibt nicht der einzige aus fremder Feder, „The Lady With The Braid“ von Dory Pelvin begleitet Staples schon seit der späten Schulzeit, mit „You’ll Have To Scream Louder“, 1984 im Original von den Television Personalities, bekommt ein Stück seinen Platz, welches dem Sänger thematisch angesichts akuter, längst überwunden geglaubter, gesellschaftliche Ungleichheiten präsent wie eh und je erscheint.
Die Cover-Versionen standen seit Jahren auf der To-Do Liste und auch „Tue-Moi“ ist ein langfristiger Entwurf, entstanden unter dem Schock der Anschläge auf das Pariser Bataclan, in dem ein klassisches Klaviermotiv den Boden für die auf Französisch vorgetragene Verbundenheit Staples mit einem Ort bildet, auf dessen Bühne er selbst oft stand.
„The Bough Bends“ bündelt schlussendlich noch einmal die Arrangierkunst der Herren Staples, Fraser, Boulder, McKinna, Harvin des Jahres 2021, lässt Vögel zwitschern, gleitet – getrieben vom sanften Takt des Drumcomputers – dahin, wird von Gitarren kurz und kakophon durchgeschüttelt, bis sich alles im Endlichen fügt.
Wie zuletzt nach „No Treasure But Hope“ stellt sich auch nach dem letzten Ton von „Distractions“ die Frage, ob die Männer aus Nottingham jemals an schöpferische Grenzen stoßen werden. Wohl eher nicht.