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Das fände ich Hölle – International Music im Interview

Als International Music vor drei Jahren mit kryptischer Collagen-Lyrik, vergilbt-verrauchter Kneipen-Ästhetik, ruhrpöttischer Nonchalance und einer stilistischen Gratwanderung zwischen Psychedelic, Shoegaze, Indie und Country-Ansätzen „Die besten Jahre“ ausriefen, war ihnen selbst noch nicht klar, dass die vermeintlich besten Jahre vielleicht gerade erst anfingen. Oder zumindest noch ausstehen könnten. Die hiesige Musikpresse jedenfalls vergab frenetische Reviews, die Leser jener Presse adelten das Debüt der Essener zum Album des Jahres – und das Staatsakt-Trio selbst avancierte vom Geheimtipp zur coolsten Rockband des Landes. Nun also ein „Ententraum“. Wie es sich darin träumt und welche Erwartungen die Internationals selbst an ihn hegen, hat uns Sänger und Bassist der Band, Pedro Goncalves Crescenti, verraten.

Pedro Goncalves Crescenti: [putzt sich die Zähne, nuschelnd] Bin jeden Moment fertig. Du bist aber auch ‘ne Minute zu früh dran!

MusikBlog: Was benutzt du denn für ‘ne Zahnpasta?

Pedro Goncalves Crescenti: Die von DM*. Kräuter.

MusikBlog: Ach, die überzeugt doch auch im Warentest-Ranking*.

Pedro Goncalves Crescenti: Na sicher. Und im Preis-Ranking. Sekunde, bin gleich wieder da. [geht ins Bad, kehrt kurze Zeit später wieder] So! Sorry, aber ich frühstücke immer recht spät. Der Kaffee schmeckt nach dem Zähneputzen ja auch nicht.

MusikBlog: Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, saßen wir noch euch bei im Probekeller und haben dieses sehr passable Billo-Bier getrunken.

Pedro Goncalves Crescenti: Stern*!

MusikBlog: Ach, Sternburger*! Sterni?

Pedro Goncalves Crescenti: Ne, Stern! Einfach Stern. Stern Pils*.

MusikBlog: Okay. Let’s start right away. Seit eurem Debüt ist ein superkrasser Hype um euch entstanden – Nachwuchspreise und Top-Platzierungen in den Jahrescharts von Fans und Kritikern inklusive. Kurzum: Es ist viel passiert. Wie geht man mit diesen ganzen Lobhudeleien ins zweite Album? War das jetzt ein anderer Druck?

Pedro Goncalves Crescenti: Puh, gute Frage. Es geht ganz grundsätzlich darum, dass es jetzt das zweite Album ist und weniger darum, was Leute darüber schreiben könnten. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, und ich bin mir nicht mal sicher, ob ich will, dass du das schreibst: “Auf ‘Die besten Jahre’ gab’s noch extrem viel Kneipenbezüge”. Die wollten wir jetzt mehr aussparen. Aber wir haben ja auch so ganz viele Lieder geschrieben. Also die Ideen kommen nach wie vor. Dieses Album ist aber vor allem von innen heraus entstanden.

MusikBlog: „Von innen heraus“ – das war auch mein Eindruck. Der „Ententraum“ wirkt auf mich wie ein Album, das sich bewusst dem Blick nach außen verweigert, dafür sehr in sich gekehrt ist, nach innen blickt. Was ja auch schon auf den Titel einzahlt. Wie viel Traum steckt denn nun wirklich drin?

Pedro Goncalves Crescenti: Wir sind noch mal ein ganzes Stück abstrakter geworden mit den Texten und betrachten sie noch mal mehr als Projektionsfläche für unkonkrete Ansagen. Bei dieser Deutung muss man aber auch vorsichtig sein. „Spiel Bass“ aber ist zum Beispiel ein ultra konkreter Song. Aber ja, schlussendlich ist es viel traumhafter und psychedelischer.

MusikBlog: Du hast mal gesagt, ihr würdet eure Gedanken einfach so lange zerhackstückeln und wieder zusammenfügen, bis sie „einfach schön“ klingen.

Pedro Goncalves Crescenti: Daran hat sich wenig geändert.

MusikBlog: Stichwort Traum: Eure hallenden Harmoniegesänge, die repetitiven Klangmuster und ebenfalls diese psychedelische Aura, die über allem schwebt, sind immer noch da. Nun gibt es neuerdings aber auch diesen abgefahrenen Erzähler, den „Gedankenzähler“ Herr Schmidt. Dem leihst du auf „Ententraum“ deine Stimme. Was hat es mit diesem Typen auf sich?

Pedro Goncalves Crescenti: Den interpretiere ich ja mit einer Art zu singen, die es bei uns schon von Anfang an gab. Das merkt man zum Beispiel auf unserer EP „Mein Schweiß“, die es auf SoundCloud gibt. Da hört man vor allem auf „Mama, warum?“ noch mehr diesen verrückten Professor heraus. Für „Die besten Jahre“ haben wir das damals entschärft. Beim neuen Album hat dieses Irre vielleicht auch besser zur gesamten Stimmung gepasst.

MusikBlog: Als ich das Album gehört habe, dachte ich mir: Och, da könnte man aber auch ein Musical draus machen.

Pedro Goncalves Crescenti: Vorsicht! Wir bevorzugen das Wort “Rock-Oper”! (lacht)

MusikBlog: Sagen wir mal, es würde umgesetzt, wäre die Rolle des Gedankenzählers doch sicher Helge Schneider vorbehalten. Der kommt ja auch bei euch aus der Nähe, oder?

Pedro Goncalves Crescenti: Ja, genau. Aus Mülheim an der Ruhr. Freunde haben den auch schon ein paar Mal gesehen.

MusikBlog: Der „Ententraum“ lehnt sich sehr an stark an Elemente neuer Musik, an üppiger orchestrierte und grundsätzlich sinfonischere Grundstimmungen mit fast schon dramaturgischem Aufbau. Hand aufs Herz: Wie wäre es denn, das mal als Rock-Oper umzuschreiben?

Pedro Goncalves Crescenti: (lacht) Beim Wort “Rock-Oper” stellen sich mir, ehrlich gesagt, die Nackenhaare auf. Ich glaube, wenn man das versuchen würde, würde man etwas konstruieren, das einfach nicht da ist. Was das Album zusammen schweißt, ist doch eher der reiche, sinfonische Sound. Die Dramaturgie hat sich ganz organisch ergeben. Durch den Aufnahmeprozess hat sich auch die Art und Weise verändert, wie wir die Songs nun auf der Bühne spielen würden. Das wird in Zukunft noch ein bisschen rougher.

MusikBlog: Tatsächlich klingen die Songs wie einzelne Bausteine, die man zu einem Puzzle zusammenfügt und die nur in Abhängigkeit zueinander funktionieren – wie lose Fäden, die sich dann zu diesem Traum aufschwingen. Hinzu kommen referentielle Selbstbezüge. Also in „Insel der Verlassenheit“ wird ja zum Beispiel auf die „Höhle der Vernunft“ angespielt.

Pedro Goncalves Crescenti: Stimmt. Und irgendwie schließt „Dschungel“ das noch mal gut ab. Da heißt es ja: „Im Studio werden die Karten neu gemischt / Der Dschungel kennt die Reihenfolge nicht“. Man kann uns quasi dabei zuhören, wie wir uns selbst in unserer eigenen Musik orientieren, auch wenn ich ich es langweilig fände, das bloß auf reine Selbstreferentialität zu reduzieren. Da steckt schon mehr drin, auch wenn wir natürlich Prozess und Selbstwahrnehmung darin verarbeiten.

MusikBlog: Beim ersten Album wurdet ihr noch stark auf Stoner- und Psychedelic-Rock reduziert, vielleicht gab’s dazu noch die ein oder anderen Schlager-Referenzen. Beim „Ententraum“ hatte ich jedoch das Gefühl, dass ihr euch stilistisch noch mal viel, viel breiter aufgestellt habt. „Spiel Bass“ ist so ein Höllenritt zwischen schroffem Punk und technoiden, turbogetrommelten Footwork-Ansätzen, in „Wassermann“ gibt’s dann diesen irrsinnig üppigen Power-Pop-Aufbau, dann wiederum Sonic Youth-ähnlich Noise-Passagen in „Misery“. Da hat man doch schnell den Eindruck, dass Olaf Opal, der Papst unter den Indie-Produzenten schlechthin, noch mal mehr seine Finger im Spiel hatte. Er hat ja auch schon eurer Debüt produziert.

Pedro Goncalves Crescenti: Also beim ersten Album wusste er, glaube ich, noch nicht so richtig, worauf er sich einlässt. Nach Veröffentlichung meinte er in Bezug auf ein zweites Album, dass er sich das dann ein bisschen „pobbischä“ wünschen würde. Beim letzten Recording kam dann die Frage von ihm: „Oh, is das überhaupt noch International Music?“ Diesmal hat er ja auch so gut wie alles alleine fertig gemischt. Das war bei der ersten Platte oder zuletzt auch beim The-Düsseldorf-Düsterboys-Album schon etwas anders. Dadurch kam nun aber auch wahrscheinlich der weichere, lautere, hochauflösendere Sound zustande.

MusikBlog: Wir haben ja schon geklärt, dass sich der „Ententraum“ dem Blick nach außen verweigert. Da bilde ich mir ein: Wenn man sich ohnehin den ganzen Außeneinflüssen entzieht, kommt die Pandemie mit ihren Lockdown-Phasen dem eigentlichen Produktionsprozess dann nicht auch irgendwie zugute?

Pedro Goncalves Crescenti: Ja, auf jeden Fall. Wir hatten viel mehr Zeit, uns mit dem Album zu beschäftigen als sonst. Und dennoch haben sehr viele Lieder einen langen Prozess hinter sich. „Spiel Bass“ haben wir zum Beispiel beim ersten Konzert von International Music im Alibi in Essen gespielt. „Raus ausm Zoo“ haben wir da auch gespielt. Dass der Track überhaupt mit reingenommen wurde… Aber hat dann ja doch ganz gut reingepasst. Es hat auf jeden Fall saumäßig Spaß gemacht, das alles zu machen.

MusikBlog: Ich hätte noch gerne eine richtig schrullige Anekdote zum Entstehungsprozess einer der 17 Songs auf dem neuen Album.

Pedro Goncalves Crescenti: Lass mich mal überlegen, das sind so viele. Also, es gibt so kleinere Entstehungsgeschichten. Auf „Spiel Bass“ gibt’s ja diesen Techno-Part hinten dran. Der Peter ist ja so’n bisschen techno-affin und hat auch früher öfter mal Live-Jams gemacht. Der Jam, der auf dem Song zu hören ist, den hat der mal mit unserem ehemaligen Tonmann Ludwig Abraham gemacht. Aber jetzt, so fünf Jahre später, haben wir erst gecheckt, dass das ultragut zum Song passt.

MusikBlog: Moment mal! Seh’ ich da im Hintergrund etwa eine Fürst von Metternich-Flasche? (Der Opener auf „Ententraum“ heißt „Fürst von Metternich“, Anm. der Red.)

Pedro Goncalves Crescenti: (lacht) Oh Gott, ja. Hat mir die Mama meiner Freundin mitgegeben. “Eigentlich nicht der Sekt unserer Wahl” ist jetzt bei uns aber natürlich auch der Scherz der Stunde.

MusikBlog: Lass uns für den Moment aber mal eben über euer ARTE-Konzert sprechen, dass dort vor wenigen Wochen in die Mediathek gepackt wurde. Da merkt man schon, dass euch das Bühnenleben richtig fehlt. Tour ist ja geplant.

Pedro Goncalves Crescenti: Die wäre schon mega wichtig. So gerne wir einfach nur Platten machen, so essentiell und so wichtig ist es für uns, natürlich ebenso Konzerte zu spielen. Beim letzten Album haben wir echt viele Gigs gespielt, waren auch irgendwann erschöpft. Das können wir uns zum momentanen Zeitpunkt gar nicht mehr vorstellen, dass das mal so gewesen ist. Wir haben da immer sehr aufeinander acht gegeben. Nicht zuletzt, weil wir ja wussten, dass wir uns fast jeden Abend auf der Bühne wieder neu aufeinander einstellen mussten. Es gibt ja auch so Bands – und das verstehe ich gar nicht – die ihre Setlists festlegen und die dann jeden Abend aufs Neue runter rattern. Dann noch mit “geskripteten” Ansagen. Das fänd’ ich Hölle.

MusikBlog: Kurz eine Frage zu Joel. Beim Debütalbum meinten du und Peter noch, dass ihr einfach einen Typen brauchtet, der Schlagzeug spielt – und als Kumpel hat Joel da einfach „gut ins Mojo“ gepasst, auch wenn ihr ihm damals vor allem eher einfache Drumläufe zumuten wolltet. Die sind auf „Ententraum“ nun aber deutlich komplexer. Er hat viel geübt, nicht wahr?

Pedro Goncalves Crescenti: Voll! Total! Ich bin mega beeindruckt! Generell können wir mittlerweile alle unsere Instrumente besser spielen, gerade auch live. Bei Peter und mir waren die Fortschritte aber nicht so krass wie bei Joel. Breaks! Neue Breaks! Öfter mal ein Wechsel, neue Grooves! [mimt Schlagzeugspiel]

MusikBlog: Abgesehen vom komplexeren Schlagzeugspiel, hört man aber auch die ein oder anderen Tropicalismo-Elemente heraus. Ich vermute mal, dass das vor allem auf dich zurückzuführen ist, da du nun ja doch eine sehr besondere Beziehung zu Brasilien hast? Deine Großmutter wohnt beispielsweise noch dort. War es für dich ein persönliches Anliegen, dieses Erbe gewissermaßen im Album unterzubringen?

Pedro Goncalves Crescenti: Als Erbe betrachte ich das jetzt nicht. Es gibt aber sehr wohl Parallelen zur brasilianischen Psychedelic, bei denen uns allen diese Radikalität in den Aufnahmen gefällt: Zum Beispiel verzerrte Gitarren, die direkt ins Pult reingesteckt werden.

MusikBlog: Drei Jahre nach dem Release von „Die besten Jahre“ muss ich einfach fragen: Sind die besten Jahre vorbei?

Pedro Goncalves Crescenti: Nein, nein. Es sind nach wie vor gute Jahre. Trotz allem.

MusikBlog: Trotz allem? Du meinst die Pandemie?

Pedro Goncalves Crescenti: Ja, genau. Ich find’s übrigens total schön, dass wir beide so wenig über die Pandemie geredet haben.

MusikBlog: Okay, gut. Vielen Dank! Sonst wird man als Künstler gerade natürlich permanent drauf angesprochen.

Pedro Goncalves Crescenti: Genau. So nach dem Motto: Sag’ doch mal was Politisches!

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

* Hierbei handelt es sich um Produktnennungen im Rahmen der Meinungsäußerung und nicht um Werbung.

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