Manchester Orchestra waren schon immer herausragend darin, nicht nur den Spagat zwischen Eingängigkeit und Muckertum zu meistern, sondern auch beide Enden der Lautstärkeskala ausbalanciert zu bedienen, während druckvoll und zerbrechlich in ihrem Universum nie als Antonyme genutzt werden.

Dass „The Million Masks Of God“ diese Tradition ebenfalls meistert, ist keine große Überraschung. Denn das Quartett aus Atlanta ist einfach eine Bank in Sachen Alternative-Rock. Das mag nicht zuletzt an Andy Hulls charakteristischer Stimme liegen, die man unter Hunderten zielsicher erkennt und die so immer Aushängeschild des Bandsounds ist.

Auch wenn es im Streaming-Zeitalter mit den Hörgewohnheiten mancher bricht: Man sollte „A Million Masks Of God“ unbedingt am Stück hören. Ansonsten bleiben die immer wieder auftauchenden Selbstzitate verborgen, die die 11 Songs zu einem dichten Teppich verweben, der das sechste Album des Quartetts zu einem opulenten Sounderlebnis mit cineastischen Zügen erhebt.

Genau darum geht es auf „A Million Masks Of God“: Um Prozesse; und die lassen sich nicht in einem Song durchleben, sondern brauchen mindestens eine Albumlänge.

Wie der Titel schon vermuten lässt, thematisieren Manchester Orchestra die ganz großen Themen. Es geht darum, wie man mit der Realisation der unvermeidlichen Endlichkeit der eigenen Existenz umgeht, aber auch um den Verlust von geliebten Menschen.

Aus einem fiktionalen Konzept – die Erzählung der Lebensgeschichte eines namenslosen Protagonisten, der auf seinen Todesengel trifft – wurde während des Schaffensprozesses traurige Realität: Der Vater von Gitarrist Robert McDowell unterlag während der Arbeiten zum Album in seinem Kampf gegen den Krebs.

Man hört „A Million Masks Of God“ all dies an. Manchester Orchestra gelingt es, innerhalb von 45 Minuten eine ganze Lebensgeschichte mit ihren Höhen und Tiefen zu erzählen. Auch wenn einige Songs besonders herausstechen, entfaltet sich die ganze Magie des Albums nur beim kompletten Hören.

Ein solcher Song ist beispielsweise das druckvolle „Keel Timing“, das das Quartett Stück für Stück aufbaut, bevor es sich in einige Sekunden Introvertiertheit flüchtet, nur um am Ende nochmal richtig aufzudrehen.

Doch es sind nicht nur die fließenden Übergänge, die die Songs miteinander verbinden, sondern besonders die immer wiederkehrenden Zitate:

Sei es der an „Keel Timing“ anmutende Melodiebogen in „Bed Head“, dessen Zitat sich in eine gänzlich andere Richtung entwickelt, oder die Textzeile aus „Keel Timing“, das in völlig neuem musikalischem Gewand einen weiteren Auftritt in „Dinosaur“ hat.

Manchester Orchestra ist mit „A Million Masks Of God“ ein musikalisches Meisterwerk gelungen, an dem man noch lange seine Freude haben wird. Denn selbst nach mehrmaligem Hören eröffnen sich immer wieder neue Zusammenhänge, die manifestieren, mit welcher Akribie und Raffinesse Manchester Orchestra eine Lanze für das Format des Albums brechen.

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