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Sam Fender – Seventeen Going Under

Während die einstigen Brit-Pop-Könige Liam und Noel Gallagher in den letzten Jahren auf ihren Solopfaden mit viel gutem Willen minimalst über dem Durchschnitt gewandelt sind und – vielleicht genau deswegen – derzeit mit einer Veröffentlichung der Doku und dem zugehörigen Livemitschnitt „Oasis Knebworth 1996“ im eigenen Saft schmoren, beweist Sam Fender mit „Seventeen Going Under“, dass Nostalgie keine Grundvoraussetzung sein muss, um Brit-Rock-Herzen höher schlagen zu lassen.

Das „Geordie-Springsteen”-Label, das sich der 27-Jährige mit seinem hoch gelobten Debüt „Hypersonic Missiles“ bei Musikjournalisten ob seiner Nähe zu Bruce Springsteen verdient hatte (“Geordie” nennt man in England Leute aus der Tyneside-Gegend im Nordosten des Landes, aus der Fender stammt, Anm. d. Red.), legt er auch auf dem lang erwarteten Nachfolger nicht ab.

Nicht, dass die kristallklare Stimme Fenders irgendwas mit dem rauchigen Whiskey-Timbre des Bosses zu tun hätte. Aber Saxophon-Soli tragen eben trotzdem einen unverkennbaren Stempel.

Wenn man besagtes Solo dann auch noch mit einzelnen Glockenspiel-Tönen kombiniert, während hintergründige Klavierakkorde, treibendes Schlagzeug und ein eingängiges Gitarren-Riff den Teppich bilden, auf dem sich Opener „Seventeen Going Under“ entfaltet, ist der Weg zu Springsteen nicht mehr weit.

Bei diesen Zutaten gelingt Sam Fender das Wunderwerk, nicht aus der Zeit zu fallen. Ob es an seiner einzigartigen Stimme liegt, dass „Seventeen Going Under“ zu keiner Zeit wie Lobgesänge der Vergangenheit klingt, sondern wie eine Hymne des 21. Jahrhunderts? Man weiß es nicht.

Obwohl Sam Fender, auch ob Mangel von äußerlichen Einflüssen aufgrund der Corona-Pandemie, auf „Seventeen Going Under“ deutlich häufiger als auf seinem Debütalbum in die Introspektive geht und in Songs wie „Get You Down“ von seinen eigenen Fehlern in Beziehungen erzählt, hat der Brite auch sein Händchen für bissige Kommentare in Sachen Politik nicht verloren.

„Aye“ versteht Fender als Nachfolger zu „White Privilege“. Der rotzige Dreiminüter beweist in eindrücklicher Weise, dass er sich sowohl hinsichtlich Songstrukturen als auch textlich nicht auf Bekanntes oder Unverfängliches verlässt, sondern Experimente wagt. Dieser Mut macht sich bezahlt. Im Herzen Punkrock, nur eben in komplex.

Und wo man „Paradigms“ den Vorwurf machen könnte, mit melodramatischen Streichern und gehauchtem Outro dann doch eine kleine Spur zu dick aufzutragen, folgt mit “The Dying Light”, dem offiziell letzten Song, ein absoluter Gänsehaut-Moment:

Obwohl das melancholische Klavier-Intro kurzzeitig Angstschweiß auf die Stirn treibt, dass Fender sich gegen Ende noch in den Classic-Rock verirrt hat, zieht er einen spätestens mit den kristallklaren Höhen und den Zeilen „But I’m alone here / Even though I’m physically not / These dead boys are always there / There’s more every year“ in seinen Bann, um dann mit dem fulminanten Finale von „The Dying Light“ eine Rakete zu entzünden, die man auch dann noch sehen kann, wenn sich das Übel dieser Welt mit den eigenen Problemen zum dichtesten Nebel kulminiert hat.

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