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Weg mit dem Perfektionismus – PICTURES im Interview

Als Nachfolgeband der beliebten Union Youth erspielten sich PICTURES schon auf zwei Alben eine zweite Karriere. Die dritte Platte “It’s OK” klingt nun noch intensiver und nach den guten alten Zeiten. Wir haben mit Schlagzeuger Michael Borwitzky über Lautstärke, Liveshows und Sentimentalität gesprochen.

MusikBlog: Ich kann mir vorstellen, dass es jetzt gerade ziemlich komisch ist, ein Album zu veröffentlichen. Alle sitzen alleine zu Hause und plötzlich ist der Release-Tag da. Wie ist das für euch?

Michael Borwitzky: Ja, das ist total scheiße. Zumal wir mit dem Release extra gewartet haben, bis der ganze Pandemie-Quatsch vorbei ist und wir alles machen können wie immer. Deswegen haben wir das Album auf Januar 2022 gelegt, weil wir sicher sein wollten, dass alles cool ist und jetzt ist es beschissener denn je. Trotzdem ist das Jammern auf hohem Niveau, finde ich.

MusikBlog: Gerade deswegen ist der Titel „It’s OK“ schon etwas ambivalent. Ist das eine Erinnerung daran, dass ihr die Platte aufgenommen habt, als man noch Hoffnung hatte oder wollt ihr damit ein tröstliches Zeichen setzen?

Michael Borwitzky: Der Titel stand schon vorher fest, er ist aber kein positives Zeichen, sondern hoch ironisch. Es war vorher schon nichts okay! Das passt jetzt sogar noch besser als vorher. Wenn man sich auch mal – abgesehen von der Pandemie – umguckt, sieht man, dass sowieso fast alles ziemlich im Eimer ist. Bei dem Titel geht es eher darum, dass es eine Durchhalteparole ist, die aber eigentlich ziemlich fehl am Platz ist.

MusikBlog: Der geradlinige Sound der Platte klingt beim Hören trotzdem ziemlich tröstlich. Was war bei euch bei den Aufnahmen denn eher der Antrieb – einfach loszulassen und Spaß zu haben oder wolltet ihr schon explizit die negativen Dinge thematisieren?

Michael Borwitzky: Textlich geht es schon immer darum, in einer gewissen Form sozialkritisch zu sein, aber nur ganz selten, dass wir explizit auf Sachen zeigen. Bei den Aufnahmen selbst haben wir unsere Köpfe auch weitestgehend ausgeschaltet. Wir sind mit unserem Produzenten Olaf in eine große Lagerhalle in Berlin gegangen und haben diese Platte wahnsinnig schnell aufgenommen: In fünf oder sechs Tagen war alles fertig, bis auf den Gesang, der dann noch darüber kam. Viele der Songs haben wir da auch das erste Mal überhaupt als Band gespielt. Nachdem wir sie zwei, drei Mal gespielt haben, dachten wir: „Okay, jetzt können wir sie aufnehmen.“ Dann drehte sich unser Engineer Jonas nur um und sagte: „Ach so, ich habe den schon aufgenommen.“ Und dann ging’s schon weiter.

MusikBlog: Gerade beim live Aufnehmen kommt ja sowieso vieles aus dem Bauch heraus. Glaubst du, dass das bei euch auch so gut geklappt hat, weil ihr euch schon so viele Jahre kennt?

Michael Borwitzky: Nach 20 Jahren sind wir natürlich ganz gut eingespielt, aber es ist auch immer ein Wagnis. Es geht darum, sich darauf einzulassen. Perfekter sind die Sachen natürlich, wenn man sie einzeln, nacheinander aufnimmt und wenn man dabei rumtricksen kann. Ehrlicher und direkter ist es, wenn man es live einspielt. Dadurch hat es eine bestimmte Energie, aber man muss auch erst den Perfektionismus ausschalten und eher darauf achten, ob sich das gerade gut anfühlt oder nicht. Das ist dann auch wichtiger als zu sagen „Da habe ich einmal daneben gehauen!“ Das hört man dann selbst zwar immer wieder, aber andere Leute sowieso nicht.

MusikBlog: Hättet ihr diese Platte denn so auch schon vor ein paar Jahren aufnehmen können oder wäre das Ergebnis ganz anders geworden?

Michael Borwitzky: Ne, das ist immer so ein Zeitzeugnis, das man ablegt. Das hätte zu anderen Zeiten auch anders geklungen. Es war auch gut, dass wir die Platten vorher anders und vor allem selbst produziert haben und jetzt zum ersten Mal mit einem Produzenten gearbeitet haben. Wir hatten dadurch schon ein Gefühl, wie die Songs arrangiert werden sollen. Dieses Mal war Olaf die treibende Kraft, die gemeint hat: „Was macht ihr denn da? Spielt das doch einfach! Dann nehme ich das auf und die Platte ist fertig.“ Selbst wenn wir die gleichen Songs im gleichen Setting wieder aufnehmen würden, würden sie anders klingen.

MusikBlog: Inwiefern würdest du denn sagen, dass ihr beim live Aufnehmen und Spielen eine andere Dynamik entwickelt als im Studio? Habt ihr deswegen jetzt einen anderen Sound als vorher?

Michael Borwitzky: Ja, das ist wieder eine Frage der Energie. Ich bin zum Beispiel sehr schlecht darin, das Tempo zu halten. Das schwankt bei mir immer total, mal spiele ich schneller, mal langsamer. Das Gute ist aber, dass Markus das aus irgendwelchen Gründen genau so mitträgt. Dadurch hat das eine eigene Energie und eine eigene Dynamik. Und die haben wir auf der Platte das erste Mal richtig eingefangen. Vorher habe ich dann auch nach Klick gespielt und das so lange ausgebessert, bis es fertig war. Dann waren die Songs automatisch anders, weil wir grundsätzlich anders spielen.

Wir haben dieses Mal auch Sachen anders arrangiert, weil es cooler ist, wenn man das Ganze dann rauer spielt, als wenn man da dann nachträglich noch Strings draufpackt. Bisher haben wir die Songs ja nur einmal live gespielt, als wir die Clouds-Hill-Session gemacht haben und da war das Abgefahrene, dass die Songs genau so waren, wie sie auf Platte sind. Das war eine sehr interessante Erfahrung.

MusikBlog: Ein Album zu veröffentlichen, das man live eingespielt hat, obwohl man gerade keine Konzerte spielen kann, fühlt sich wahrscheinlich merkwürdig an. Das hätte es für euch wahrscheinlich auch einfacher gemacht, direkt auf Tour zu gehen.

Michael Borwitzky: Ja, es ist wirklich ärgerlich. Es gibt Tour-Termine im März. Ich glaube zwar nicht wirklich daran, aber würde sehr gerne spielen.

MusikBlog: Im Musikvideo zu „It’s OK“ konntet ihr ja zumindest schon das Live-Spielen zelebrieren. Man merkt auch, dass das zusammengehört: Die Energie, die Fans und ihr. Hat sich da denn für euch auch was anders entwickelt ohne die ganzen Konzerte? Schreibt ihr fleißig weiter oder seid ihr gerade auf on hold?

Michael Borwitzky: Wir sind total auf on hold. Wir haben zwar viele Videos gedreht, aber das auch sehr komprimiert. Das war einfach schwierig, zusammenzukommen. Auch der Videodreh, den du beschreibst, war ein total surreales Unterfangen. In einer riesigen Halle alle Leute testen, auf Abstände achten, alle rennen mit einer Maske rum, bis dann, wenn man dreht, alle ausrasten. Das macht alles keinen Spaß.

MusikBlog: Ich habe auch schon von einigen Musiker*innen, Fans und Journalist*innen gehört, dass sie in der ganzen Zeit ihren Bezug zur Musik verloren haben. War das denn bei euch auch so?

Michael Borwitzky: Wir haben noch nie ziellos Musik gemacht. Wir sind nicht die Band, die sich zweimal pro Woche im Probekeller trifft. Wir haben gesagt „Jetzt schreiben wir Songs für eine Aufnahme“ oder „Jetzt proben wir Songs für eine Tour“. Das gibt es ja alles gerade nicht. Wir haben nur einmal eine Woche geprobt, bevor wir die Clouds-Hill-Session gespielt haben, weil es dieses Ziel gab.

MusikBlog: Aber vielleicht ist es ja etwas Balsam für eure Seele, wenn ihr positives Feedback zu euren Songs bekommt. Einige sagen in den Kommentaren aber auch, dass ihr wieder mehr nach Union Youth klingt. Ist das für euch etwas Positives?

Michael Borwitzky: Es ist weder positiv noch negativ, aber es stimmt auf jeden Fall. Als ich die Aufnahme zum Song „Who Took The Soul“, den wir als letztes veröffentlicht haben, zum ersten Mal gehört habe, habe ich selber gedacht „Ach das klingt ja wirklich wieder wie früher“. Das ist zum einen natürlich cool, aber zum anderen ist das jetzt auch 20 Jahre her. Wir sind nie mit der Idee ins Studio gegangen, jetzt wieder so klingen zu wollen wie damals. Aber es freut mich, dass es noch funktioniert. Ich hätte gar nicht gedacht, dass wir noch so viel Kraft haben.

MusikBlog: Kraftvoll klingt das Album auf jeden Fall. Ich kann mir vorstellen, dass sich die Aufnahmen für euch sehr intensiv angefühlt haben.

Michael Borwitzky: Olaf hat auch einen gepflegten Wahnsinn, den er mit sich bringt. Es war teilweise so laut, dass wir das Schlagzeug nochmal über ein PA schicken mussten, weil man es sonst nicht gehört hätte. Das habe ich vorher noch nicht erlebt, dass mit so einer Lautstärke gearbeitet wird. Das war erfrischend. (lacht) Sogar zu den früheren Union-Youth-Zeiten wurde immer gesagt „Das ist zu laut, das muss leiser sein“. Olaf war also die erste Person, die gesagt hat „Das muss noch viel lauter, dann ist es noch geiler.“

MusikBlog: Wo wir gerade beim Thema Union Youth und alte Zeiten sind: Seid ihr denn eine Band, die regelmäßig zusammen zurückblickt oder habt ihr mit der Doku „Könige der Welt“ eigentlich mit der Vergangenheit abgeschlossen?

Michael Borwitzky: Diese sentimentalen Phasen kommen nicht mehr so oft vor. Wie du schon sagst, durch diese Doku hatten wir uns schon einmal sehr intensiv mit einer Phase in unserem Leben auseinandergesetzt. Bis wir mit den Dreharbeiten losgelegt hatten, hätte ich gar nicht sagen können, in welchem Jahr ich was gemacht habe. Und wenn man sich alles zurechtlegt, beschäftigt man sich nochmal intensiv damit, aber eigentlich ist es dann auch gut.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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