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Vielleicht löst das irgendwann eine Kettenreaktion aus – Los Bitchos im Interview

Los Bitchos legen mit „Let The Festivities Begin!“ ihr Debütalbum vor – ein Titel, der angesichts grassierender Virusvarianten beinahe ironisch anmutet. Nichtsdestotrotz – oder gerade deshalb – sollte man die 11 Stücke auf diesem stilmultiplen Instrumental-Epos zwischen verschiedenen lateinamerikanischen Einschlägen sowie Surf- und Psych-Rock-Anleihen aufmerksam studieren. Gitarristin Serra Petale hat uns unter anderem verraten, was es in ihnen zu entdecken gibt, welchen Einfluss das Londoner Nachtleben auf die vierköpfige Band hat oder wie man Mac DeMarco unter den Tisch säuft.

MusikBlog: Hey Serra, es heißt, du und die anderen hätten schon öfter Mac DeMarco unter den Tisch gesoffen. Ich will Details!

Serra Petale: (lacht) Wir waren 2019 mit ihm auf Tour und ziemlich pumped, was nach den Shows häufig zu Bier und Tequila führte. Das Ganze geriet nie völlig außer Kontrolle, hatte seinen Höhepunkt aber definitiv an einem Abend in Istanbul, als wir mit ungefähr zehn Personen um die 100 Shots kippten.

MusikBlog: Hach, die Zeit vor der Pandemie, da blickt man ja fast schon nostalgisch drauf.

Serra Petale: Ja, absolut, the good old days.

MusikBlog: Apropos Nostalgie: Die Elemente in den Videos zu euren Singles „La Panteras“ oder „Good To Go!“ reichen von Western-Retromanie und Tarantino-Referenzen hin zu Siebzigerjahre-Vibes und altem Gameshow-Kitsch. Denkst du, dass es bei Instrumentalmusik wichtiger ist, Assoziationen cineastisch vorgeben zu können?

Serra Petale: Das Tolle an instrumenteller Musik ist doch, dass sich Leute ihren eigenen Reim darauf machen können, was sie mit der Musik assoziieren wollen, wohingegen Lyrics so manches Gefühl oft schon in eine bestimmte Richtung lenken.

MusikBlog: War denn von Anfang klar, dass Los Bitchos ein Instrumentalprojekt werden? Die Industrie tauscht Erfolg zumeist ja bloß gegen Musik, in der auch gesungen wird.

Serra Petale: Wir waren von Beginn an eine Instrumentalband. Kommerzieller Erfolg hat für mich nie eine vordergründige Rolle gespielt. Für mich war immer nur wichtig zu spüren, dass dieses Projekt etwas Besonderes ist. Abgesehen davon gibt es zurzeit auch nicht so viele Instrumental-Bands, wobei ich da auch eine steigende Tendenz wahrnehme – was fantastisch ist! Vielleicht löst das irgendwann eine Kettenreaktion aus: Die einen sehen, dass instrumentale Musik bei anderen klappt und fühlen sich dadurch dazu inspiriert, ihren eigenen Weg zu gehen.

MusikBlog: Du sagtest gerade, dass instrumentale Bands dieser Tage rar gesät sind. Kaum verwunderlich, dass ihr oftmals in einem Atemzug mit Khruangbin oder Altin Gün genannt werdet, wobei Letztere zwar jetzt keine Instrumentalmusik machen, musikalisch aber arg mit eurem psychedelischen Surf-Rock-Design verwandt sind. Empfindet ihr das eher als Bürde oder als Segen?

Serra Petale: Eine große Ehre ist das. Wir respektieren diese Bands so sehr und hatten Anfang des Jahres ja sogar die Gelegenheit, einen gemeinsamen Song („Erkilet Güzeli“, Anm. der Red.) mit Altin Gün aufzunehmen. Khruangbin und Altin Gün sind absolute Pioniere in dem, was sie tun. Das kann man nur als Kompliment auffassen. Bitte mehr von diesen Vergleichen.

MusikBlog: In eurer Musik halten sich so viele verschiedene Stilrichtungen die Waage – von peruanischer Chica und reichlich E-Gitarren-Twang bis hin zu Cumbia und türkischem Psych-Rock…

Serra Petale: …ein echter Schmelztiegel!

MusikBlog: Exakt! Dazu kommen dann noch eure unterschiedlichen kulturellen Backgrounds und wiederum viele verschiedene musikalische Präferenzen. Wie kriegt ihr es hin, dass ein Los-Bitchos-Song am Ende dennoch homogen klingt?

Serra Petale: Das alles gibt wahrscheinlich nur das Leben wieder. Alles, was man hört, diese Kulmination aus Melodien, Einflüssen und Sounds, rührt natürlich daher, dass wir aus verschiedenen Ecken der Welt (Keytarin Augustina Ruiz aus Uruguay, Bassistin Josefine Jonsson aus Schweden und Drummerin Nic Crawshaw aus Großbritannien, Anm. der Red.) stammen und jede einzelne von uns dabei eine völlig andere musikalische Sozialisation hatte. Dass dabei am Ende ein ziemlich merkwürdiger Mix entsteht, ist unvermeidlich.

MusikBlog: Nun haben sich Los Bitchos ja im Londoner Nachtleben kennengelernt…

Serra Petale: …stimmt, wobei Josefine und ich uns schon kennen, seitdem ich nach London gezogen bin. Das war vor etwa zehn Jahren.

MusikBlog: Ah, okay. Ich habe mich nämlich gefragt, inwieweit das Londoner Nachtleben in eurer doch ziemlich animierenden Musik hörbar wird. Klängen Los Bitchos anders, wären sie sich unter friedvolleren Umständen begegnet, sagen wir in einem Lesezirkel?

Serra Petale: (lacht) Die Vorstellung gefällt mir. Wir machen Tanz- und Partymusik, keine Frage. Wir leben hier alle in kleinen Wohnungen und lieben es, uns in Pubs zu treffen, Tanzen zu gehen und die Sau rauszulassen. Natürlich färbt das unweigerlich auf unsere Rollen als Musikerinnen ab, insbesondere auf der Bühne – was nicht nur uns ein gutes Gefühl gibt, sondern auch dem Publikum eine gewisse Vertrautheit vermittelt. Aber am Ende des Tages sind wir auch auch Performerinnen, die abliefern müssen. Mit der Energie, die auf völlig magische Weise entsteht, wenn wir auf der Bühne sind, klappt das aber herausragend gut. Ganz genau kann ich es auch nicht beschreiben.

MusikBlog: Alex Kapranos (Frontmann und Sänger von Franz Ferdinand) hat „Let The Festivities Begin!“ produziert. Wie war die Zusammenarbeit?

Serra Petale: Einfach großartig! Wir haben wirklich viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt, uns immer wieder zusammengesetzt und uns überlegt, wie wir das Beste aus dem Album rausholen können, wobei uns vor allem Alex’ Besonnenheit geholfen hat. Er ist wirklich ein sehr aufmerksamer Mensch, der genau weiß, was auf einer Platte funktioniert und der dir auch noch bis ins kleinste Detail erklärt, warum das so ist. Er besitzt diese unglaubliche Synthesizer-Sammlung und das ein oder andere Effekt-Pedal, von dem er selbst sagt, dass die sonst kaum noch wer hat. Damit haben wir ein paar abgefahrene Sounds geschaffen, wobei Alex nie nur dasaß und müde abnickte, was wir so zustande brachten. In dieser Platte steckt auch eine Menge von ihm drin.

MusikBlog: Du hattest ja schon erwähnt, dass „Let The Festivities Begin!“ ein Partyalbum ist – der Titel lässt es ja auch irgendwie vermuten. Ist es da nicht ironisch, dass ihr es Anfang des vorletzten Jahres zu einem Zeitpunkt fertigstellen konntet, als das Coronavirus gerade dabei war, sich weltweit auszubreiten und „Festivities“ im Grunde genommen schnell eine Absage erteilte?

Serra Petale: (lacht) Ja, irgendwie schon, wobei wir uns erst Ende 2020 oder Anfang 2021 auf den Titel festgelegt haben. Ich sag’s mal so: Wir können an der Pandemie nichts ändern. Was wir jedoch beeinflussen können, ist, dass wir ein gutes Album machen, das uns als Band begründet, egal was passiert – weshalb „Let The Festivities Begin!“ auch der perfekte Titel ist.

MusikBlog: Bei meiner Recherche sind mir Artikel aufgefallen, die euch explizit als „All female band“ oder „Female four-piece“ labeln. Da frage ich mich ernsthaft, aus welchen Gründen man sich noch um solche Etikette bemüht. Die Foo Fighters würde doch auch niemand als „All male band“ bezeichnen. Man würde einfach „Rockband“ sagen, oder? Nervt das nicht?

Serra Petale: Nerven tut’s mich nicht unbedingt, aber natürlich geht es auch nicht spurlos an mir vorbei. Ich glaube einfach, dass diese Kategorisierungen manchen Menschen dabei helfen, historische Normen zu wahren, von denen sie sich noch nicht verabschieden möchten – das werden sie aber schon. Wenn nun jemand „All female band“ schreibt, werte ich das persönlich aber nicht als kritisch. Was hingegen Fakt ist: Die Leute drehen komplett ab, wenn sie Frauen auf der Bühne abgehen sehen. Frag mich nicht wieso, aber so ist es nun mal.

MusikBlog: Wo wir gerade davon sprechen: Wie sehr freut ihr euch auf eure erste Headliner-Tour durch Europa in diesem Jahr?

Serra Petale: Wir haben bisher wirklich nur ein paar wenige Headline-Shows gemacht. Bei den meisten Gigs, die wir bisher gespielt haben, waren wir Vorband. Nicht, dass wir nicht gerne Vorband sind, aber die Energie, die entsteht, wenn du weißt, dass die Leute wegen dir zum Konzert kommen, ist really really fucking cool.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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