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Es interessiert uns nicht, was man von uns erwartet – Wet Leg im Interview

Hochgepriesen, hochgejazzt, himmelhochjauzend über den grünen Klee gelobt: Die Vorschusslorbeeren (u.a. fünf Nominierungen bei den NME Awards Anfang März), mit denen Rhian Teasdale und Hester Chambers von Wet Leg noch vor Veröffentlichung ihres ersten, selbstbetitelten Albums „Wet Leg“ dekoriert wurden, blühen kräftig, sie hängen hoch. Und offen gestanden, sind sie in keiner Weise falsch gesteckt. Das Duo von der Isle of Wight, das trotz hyperventilierenden Schnappatmungen der global deutungshöchsten Musik-Journaillen in südenglischer Unaufgeregtheit gedieh und gedeiht, stellt eine eingestellte Gleichgültigkeit zur Pose. Wir haben eine Wet-Leg-Frontfrau, namentlich Hester Chambers, digital und in diesen seltsamen Zeiten völlig coronakonform zum Interview gebeten – und dabei nicht nur etwas über den Umgang der Newcomerinnen bezüglich ihres Hypes, sondern auch deren Vorlieben für Hummerscheren, links liegen gelassene Erwartungshaltungen und die Erkenntnisse des Schlafwandels erfahren.

MusikBlog: Hey Hester, gleich nachdem „Chaise Lounge“ und „Too Late Now“ releast wurden, wurdet ihr von der internationalen Musikpresse als Top-Newcomer für 2022 angekündigt. Dazu kamen recht schnell Millionen von Streams, Auftritte in ausverkauften Hallen dazu und sogar ein Gig bei “Later with Jools Holland”. Der Hype ist real, oder?

Hester Chambers: Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Es fühlt sich echt strange an. Wir haben gar nicht damit gerechnet. Die Band haben wir ja eigentlich nur für uns gegründet, aus Spaß quasi. Da draußen gibt’s derzeit so viele Bands, die gute Musik machen. Umso mehr freuen wir uns natürlich, wenn wir wahrgenommen werden.

MusikBlog: Auf „Oh No“ thematisiert ihr die Verwahrlosung zwischenmenschlicher Interaktion in einer Zeit, in der alle auf Smartphone-Displays fixiert sind. Zählt ihr euch selbst zu den Verursacherinnen dieses Problems oder setzt ihr dem etwas entgegen?

Hester Chambers: Oh! Ich denke, wir besitzen dafür keine Strategie, besitzen im Grunde für überhaupt nichts eine Strategie. (lacht) Wir leben nun mal in Koexistenz mit dem Internet. Doch wegen all dem negativen Zeugs, das dort produziert wird, versuche ich, Social Media so wenig wie möglich zu nutzen. Lieber genieße ich die reale Welt.

MusikBlog: Rhian hat mal gesagt, dass „Too Late Now“ vom Schlafwandeln ins Erwachsensein handelt. Wenn ich das Wort Schlafwandeln für mich richtig deute, geht es um einen unkontrollierten Zustand, der fatale Folgen haben kann, wenn man etwa falsche Schritte macht.

Hester Chambers: Ich kann nicht für Rhian sprechen, aber ich glaube, ihr ging es darum, dass Zeit einfach manchmal an einem vorbei fliegt, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Plötzlich wird dir klar: Wow, ich bin älter geworden.

MusikBlog: Eigentlich wolltet ihr ja ein lustiges Album aufnehmen. Aber dann kam, wie ihr selbst meint, immer wieder die Traurigkeit durch. Existiert das eine nur mit oder durch das andere?

Hester Chambers: Yep, versteht sich ja von selbst. Niemand ist die ganze Zeit nur glücklich oder traurig. Auch wenn wir uns die meiste Zeit ums Glück bemühen, ist es unvermeidlich, dass sich Trauer immer wieder ihren Weg bahnt. Wichtig ist, dass man das akzeptiert, ohne sich scheinheiliger Positivität verpflichtet zu fühlen. Das ist absolut toxisch.

MusikBlog: Wenn ich mir eure bisher veröffentlichten Videos ansehe, frage ich mich, was macht wohl mehr Spaß: Als Alien im Badeanzug durch die Stadt tapsen, eine Kissenschlacht mit Hummerscheren als Hände abhalten oder im Mopp-Kostüm vor der rauen See herumtänzeln?

Hester Chambers: (lacht) Schwierig, sich da zu entscheiden, aber ich würde sagen, dass das Hummer-Kostüm am meisten Spaß gemacht hat. Dann kommt das Mopp-Kostüm, auch wenn es echt schwer war, vor allem auf den Schultern.

MusikBlog: Wie geht ihr mit Vergleichen um, die sich um euch ranken? In dem Zusammenhang wurden schon Violent Femmes oder Björk als Referenzen angeführt? Bürde oder Segen?

Hester Chambers: Ein Riesenkompliment!

MusikBlog: Ihr habt erst mit 22, 23 Jahren angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Was hat euch davor davon abgehalten?

Hester Chambers: Wir waren einfach mit anderen Dingen beschäftigt. Du weißt schon, das Leben eben.

MusikBlog: Euer Album wurde von Dan Carey produziert, der sich in der Vergangenheit schon für erfolgreiche Post-Punk- und Indie-Senkrechtstarter wie Fontaines D.C., Goat Girl, Grimes oder The Kills verantwortlich gezeigt hat. Wie war die Zusammenarbeit?

Hester Chambers: Es hat richtig viel Spaß gemacht! Er ist ein so magischer, leidenschaftlicher Kerl, der uns nicht nur geholfen, sondern uns auch dazu ermutigt hat, uns in unserem Sound selbst zu ergründen.

MusikBlog: Wo wir gerade von eurem Sound sprechen: Er enthält Elemente von Punk, Indie- und Garage-Rock, aber auch Twee-, Noise- und Dream-Pop-Ansätze. Wie schafft ihr es, diese verschiedenen Einflüsse in ein homogenes Klangkonzept zu übersetzen?

Hester Chambers: Wir denken ja gar nicht in Genres. Viele Künstler*innen machen sich grundsätzlich keine Gedanken mehr darüber, wie sie klingen möchten. Wir wollten auch kein Album aufnehmen, dass einen bestimmten Sound hat. Jeder Song soll seine eigene Energie entfalten. Uns wiederum gibt jeder Song damit das Gefühl und die Freiheit, zu machen, was sich für uns sanft, lieblich, energetisch anfühlt.

MusikBlog: Wem kehrt ihr auf eurem Album-Cover eigentlich den Rücken zu? Der Welt, den Erwartungen an euch oder nur den Arschlöchern, die auch im Jahr 2022 noch erwarten, dass ihr als weibliches Duo – eigener Aussage nach – „hübsch und cool“ aussehen müsst?

Hester Chambers: Hm, das Foto ist in einer sehr freimütigen, unbeschwerten, lockeren Atmosphäre entstanden. Wir haben uns die ganze Zeit eigentlich nur darüber schlapp gelacht, wie albern uns das alles vorkommt. Es interessiert uns nicht, was man von uns erwartet. Wir machen Musik bloß unsertwegen. Großartig ist es natürlich dennoch, wenn sie auch anderen gefällt.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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