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The Smile – A Light For Attracting Attention

Man liest von The Smile, sieht viele Altbekannte in der Liste der Mitwirkenden und entscheidet sich für ein Durchhören des Debütalbums. Danach fragt man sich: Warum genau ist das hier denn nun kein Radiohead-Album?

Denn auf dem Papier weist alles darauf hin: Thom Yorke und Jonny Greenwood, die ikonischen Masterminds der Art-Rocker, sind auch hier die kreativen Epizentren. Radiohead-Stammproduzent Nigel Godrich, der auch für die meisten von Yorkes Solo-Vorstößen sowie das Nebenprojekt Atoms For Peace verantwortlich ist, ist ebenfalls mit von der Partie.

Was The Smile allerdings zu einem besonderen Nebenprojekt macht, ist die Freiheit, die sich Yorke und Greenwood in ihrer Hauptband und ihren Solo-Ausflügen nie erlaubt haben: Statt roten Fäden zu folgen und auf kreative oder thematische Ziele hinzuarbeiten, probieren sie sich aus, lassen sich treiben und blicken auch gerne einmal zurück.

Für die ersten beiden Songs “The Same” und “The Opposite” erfolgt etwa die Rückkehr in glitchige, verschrobene Synth-Teppiche aus Zeiten von “Kid A”, in denen Thom Yorke sich herzzerreißend durch falsettiert.

“You Will Never Work In Television Again” besucht gedanklich Radioheads schrammelige Alternative-Rock-Phase, “We Don’t Know What Tomorrow Brings” tummelt sich im treibenden Elektro-Rock von “Hail To The Thief” kurz nach der Jahrtausendwende.

“Free In The Knowledge” erinnert mit seinem grandiosen, warmen und melancholischen Orchestersound von Streichern des London Contemporary Orchestra und einer kompletten Bläsersektion am meisten an das aktuelle Album “A Moon Shaped Pool“.

“A Light For Attracting Attention” mag zuweilen wie ein Nostalgietrip wirken, gerade auch für Yorke und Greenwood selbst – und besonders harte Kritiker würden ihnen das einfache Aufwärmen von alten Ideen vorwerfen, gerade weil etwa der sanfte Closer “Skrting On The Surface” seit 2012 von Radiohead live gespielt wurde.

Solch eine Verurteilung würde allerdings gleich mehrere Aspekte auslassen:

Zum Einen, dass auch die früheren Alben der Band bis heute unvergleichlich zeitlos klingen und daher auch noch im Jahr 2022 nicht nur funktionieren, sondern brillieren. Zum Anderen, dass die Stücke auf “A Light For Attracting Attention” songwriterisch auf einem so hohen Level sind, dass jegliche Kritik einfach daran abprallt.

Ohne jegliche Limitierung durch Konzepte oder Thematiken entfaltet sich das pure Können von Yorke und Greenwood, Musik zu schreiben, die gleichermaßen komplex und vielschichtig wie gefühlvoll und transzendental ist.

Der Bandname veranschaulicht auch die inhaltliche Dichotomie zwischen Kopf und Herz perfekt: Laut Yorke ist The Smile kein warmes Lächeln, sondern das Grinsen eines Mannes, der einen jahrelang angelogen hat. Menschliche Abgründe also, die tiefer gehen, als man zuerst vermutet. Man versteht nicht, man grübelt, man zweifelt an der eigenen Existenz.

“A Light For Attracting Attention” gibt Radiohead eine Quasi-Ausflucht aus der Prämisse, sich nicht wiederholen zu dürfen und erlaubt den kreativen Drahtziehern, die Aspekte ihres Schaffens erneut zu besuchen, die sie noch nicht für auserzählt hielten.

Ein Glück – denn das tut nicht nur Yorke und Greenwood augenscheinlich gut, sondern beschert den Fans ebenfalls ein äußerst starkes Album, das die Wartezeit zur potenziellen nächsten Platte der Hauptband versüßt.

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