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Calum Scott – Bridges

Calum Scott grätscht mit “Bridges” so dermaßen am Zahn der Zeit vorbei, dass man ihm eine gewisse Absicht unterstellen muss. Die Nachfolge-Platte seines wahnwitzig erfolgreichen Debüts “Only Human” könnte man ganz bedenkenlos neben Kuschelrock- und Hochzeitsmusik-CDs im Regal einsortieren. Und das ist über die weitesten Strecken kein Kompliment. Ein paar Ausnahmen bestätigen die mit Kitsch überzogene Regel.

2015 nahm Scott bei Britain’s Got Talent teil und gehört zu den wenigen Kandidat*innen, die auch lange nach dem großen TV-Moment noch Fans begeistern. Bei dem Briten sind das bis heute alleine knapp 29 Millionen monatliche Spotify-Hörer*innen. Viele der alten Songs kratzen gar an der Milliarden-Marke, die neueren tingeln etwas im Dunkeln. Und das vielleicht nicht ohne Grund.

Problemfaktor Nummer 1: “Bridges” ist für ein Pop-Album mit 15 Songs einfach viel zu lang. Wäre Scott ein begnadeter Songwriter, könnte man dieses Argument jetzt mal außen vor lassen. Im generischen Takt, den sich die Songs alle um ihre Hüfte geworfen haben, versinkt die Platte aber viel zu schnell in Monotonie. Immer wieder gibt es Klavier getragene Strophen, die Scott mit seinem schönen, aber auch etwas nichtssagenden Timbre in einen schmachtenden Refrain steigen lässt.

Problemfaktor Nummer 2: “Bridges” ist absolut monothematisch. Könnte man jetzt als Konzept-Album auslegen, aber dafür ist das Thema Liebe dann doch zu sehr in Plattitüden getränkt. Beim Bullshit-Bingo würde das Album jedenfalls abräumen: Die große Liebe ist, na klar, “Biblical”, beim Gegenüber alles perfekt (“There’s not a thing I would change about you” in “Flaws”) und dazu dann ein paar Kalendersprüche à la “I love the way you love / I hate the way you don’t” (“The Way You Loved Me”) oder “You Are The Air That My Lungs Need”.

Damit könnte die Platte maximal die gaaanz frisch Verliebten erreichen, vielleicht noch jene, die Hochzeits-Playlists erstellen. Ansonsten ist der allgegenwärtige Kitsch beinahe beängstigend. Gerade fragt man sich, wie man ernsthaft den Satz “If everyone had a love like us, they wouldn’t call what is above heaven” (“Heaven”) 2022 schreiben kann, da überrascht Scott am Ende doch endlich positiv.

Etwa mit dem Gospel-Einsatz in “Rise”, dem ersten authentischen Gefühl in “Cross Your Mind” – und vor allem dem großen “Boys In The Street”. Dieses hat Scott nämlich seinem Vater gewidmet und singt dabei über dessen schwierigen Umgang mit Scotts Queerness.

Eine bedrückende Geschichte über Akzeptanz, Exklusion und die schmerzhafte Seite der Regenbogenfahne. Sätze wie “He still won’t hold me like my brother” tun schon beim Zuhören weh. Mit dem Titeltrack und dem Closer “Father” folgen zwei weitere angenehm zarte Momente ohne den großen Bombast-Moment.

Skippt man einfach die ersten fünf Songs der Platte, wäre “Bridges” ein okayer Pop-Ausflug. So hätte man vielleicht doch eher Ed Sheeran oder Sam Smith bevorzugt.

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