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John Frusciante – .I: And :II.

Elektrisierende Irritationen durchbohren puristische Soundschattierungen und gezeitenartige Klangteppiche. In einem psycho-akustischen Strudel zwischen Illumination und Irrsinn öffnet John Frusciantes Doppel-Album “.I: & :II.” das Portal zur fünften Dimension. Oder auch anders gesagt: Tinnitus statt Ohrwurm.

Seit seinem Wiedereinstieg bei den Red Hot Chili Peppers hat John Frusciante gemeinsam mit seinen Bandkollegen in 2022 innerhalb von sechs Monaten zwei Alben veröffentlicht. Doch nach den anderthalb Jahren als Gitarrist und Songwriter war es für ihn höchste Zeit, sich wieder seiner eigenen Musik zu widmen, um zurück in seine Mitte zu finden – oder wie er selbst sagt: “I needed to go back to my adopted language.”

Neben zahlreichen Vertreter*innen elektro-akustischer Musik ließ er sich für “.I:” & “:II.” allen voran von den Arbeiten des Pioniers Brian Eno im Bereich der Ambient-Musik inspirieren. Auch John Lennons Projekte am Mellotron und Songs wie “…And The Gods Made Love” von Jimi Hendrix oder die musikalisch imitierte Beschleunigung eines Zugs in David Bowies “Station To Station” standen Pate für diese neugeborene Galaxie aus Klang und Raum.

Das Release “.I: & :II.” (sprich: “one and two”) besteht aus zwei Teilen. Während “.I:” ausschließlich auf Vinyl veröffentlicht wurde und lediglich sieben Tracks enthält (darunter das exklusive “OFD”), umfasst die CD- und Digitalveröffentlichung “:II.” zehn Titel und damit insgesamt mehr Material, da sich “nicht alle Sounds auf Schallplatte pressen ließen”, so Frusciante.

Das liegt vermutlich daran, dass man – neben “Frantay”, “Golpin” und “Blesdub Dot” – insbesondere beim filigranen “Galvation” das Kratzen der Nadel nicht mehr vom eigentlichen Track hätte unterscheiden können.

Damit fallen die Assoziationen auf “.I: & :II.” mannigfaltig und beeindruckend wie auch diffus und befremdlich aus. “Golpin” schlängelt sich flirrend ins Ohr und ruft einem das typische Klingeln nach einem lauten Konzertbesuch in Erinnerung, wenn man sturzbesoffen ins Bett fällt. In der zweiten Hälfte des Titels gesellt sich ein unregelmäßiges Wabern hinzu. So muss es sich für Pinocchio im Bauch des Wales angefühlt haben.

Unter der entweichenden Kohlensäure aus einer Sodastream-Flasche kann man in “Frantay” ganz leise die Waschmaschine des Nachbarn beim Schleudern vernehmen. Und spätestens, wenn man im Alltag permanent von Geräuschen wie in “Blesdub Dot” begleitet wird, sollte man umgehend einen Termin zur Routineuntersuchung in der HNO-Praxis vereinbaren.

Das Zähneklappern der schnurrenden Roboterkatze in “Pyn” entpuppt sich als Botschaft in Mause-, nein, Morsecode, die in etwa mit “The future is meow” übersetzt werden könnte. Die Klangkulisse in “Mk 2.1” ähnelt hingegen über weite Strecken dem Surren und Brummen eines defekten Gitarrenverstärkers, während John Frusciante in “Sluice” klangmalerisch mit der Fugendüse des Staubsaugers in den Schlitzen seiner Autositze fuhrwerkt.

Abseits von Akkorden, Rhythmen und Noten wollte John Frusciante ein Werk schaffen, auf dem homogene Klänge miteinander verschmelzen und die Musik nicht gemacht wird, sondern existiert: “This music seeks to just exist, and is not attempting to manipulate or grab the listener in any way.”

Hörer*innen soll es ermöglicht werden, sich bewusst auf diese Klangstrukturen einzulassen und einzutauchen oder sich peripher davon begleiten zu lassen – und tatsächlich funktioniert beides.

So bewegen sich die Collagen aus oszillierenden Texturen und kosmischer Unendlichkeit auf “.I: & :II.” irgendwo zwischen György Ligetis monumentalen Orchesterwerken der Neuen Musik und dem Laufgeräusch eines kaputten Kühlschrank-Kompressors.

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