„Memento Mori“ – Worte so groß wie die Band, die ihr neues Album damit titelt.
Nach dem abrupten Ableben von Andrew Fletcher, traten Dave Gahan und Martin Gore früh Spekulationen um das Ende von Depeche Mode entgegen, zumal die Arbeiten am neuen Material zu diesem Zeitpunkt weit fortgeschritten waren.
So weht der Geist des verschiedenen Freundes um alle Ecken der Platte, hat ihre neue, von Produzent James Ford und der Soundmixerin Marta Salogni veredelte, mit dem The-Psychedelic-Furs-Altvorderen Richard Butler einen zusätzlichen (Teil-)Songschreiber integrierende, Album-Ausgabe dato trotzdem etwas von einer Stunde null.
Mit dysphorischem Grundtenor befasst man sich mit existentiellen Themen, zu denen die Protagonisten aus dem eigenen Erfahrungsschatz beitragen können, wohnen den Songs Verlust, Schmerz und Furcht inne, die – allesamt getriggert von Krieg, Klimakrise und Pandemie – wie Mordors Schatten über den Aufnahmen liegen.
Entsprechend hat der Einsteiger „My Cosmos Is Mine” das nicht enden wollende Gemetzel im Osten Europas im Blick, trotz des stoisch-beschwörenden „no fear, no fear, no fear“ im hallenden Resonanzraum, bleibt die Angst vor dem Ungewissen fortan ein latenter Begleiter des „Spirit“-Nachfolgers.
Wider dem schlechten Zustand der Welt fordert „Wagging Tongue“ zur Gelassenheit auf: „Relax, enjoy the ride“ heißt es, und sich darauf auf Albumlänge einzulassen, fällt nicht schwer, wurde doch in dieser wie in anderen Nummern auf Tugenden zurückgegriffen, mit denen Depeche Mode in den verschiedenen Schaffensphasen ihrer Karriere stilprägende Spuren in der Musikgeschichte hinterließen.
„Ghosts Again“ gab schon schon im Vorfeld den flotten Stampfer in „Violator“-Qualität, sind in den nostalgisch-eleganten Melodiebogen von „Never Let Me Go“ oder dem Synthie-Gewummer von „People Are Good“ wohlakzentuierte Selbstreferenzen eingearbeitet.
Dave Gahan flutet den dunklen „Memento Mori“-Charme mit der Präsenz seiner Stimme, zelebriert Martin Gore seine Ballade „Soul With Me“ vor einer sakraler Klangkulisse, hört man dem griffigen Dancefloor-Knaller „My Favourite Stranger“ an, dass hier Profis am Werk sind, die seismografisch erfassen, womit Fans euphorisiert werden wollen.
An einigen Stellen driftet die Stimmung in Richtung Nick Caves Trauerwerk „Skeleton Tree“, scheinen die beiden nicht nur beim Elektro-Klammer-Blues „Don’t Say You Love Me“ oder dem epischen „Before We Drown“ nach Fletchers Tod enger aneinander gerückt.
Wenn Depeche Mode am Ende vom überwältigenden „Speak To Me“ den Weg ins Sphärische antreten, hat „Memento Mori“ diesseitig weiter zur eigenen Legendenbildung beigetragen.