Weites heißes staubiges Land, eingerahmt von Bergen und ein paar einsame Reiter. Das klingt nach Westernkulisse und das innere Ohr spielt schon Countrymusik. Dazu könnte auch die Musik von Tinariwen passen. Hier wird allerdings auf Kamelen geritten und auf der Tahardent und der Imzad gespielt. Tinariwen ist ein Künstlerkollektiv von Tuaregs, welche in Mali leben und seit mehr als 20 Jahren weltweit auf die politische Unterdrückung ihres Volkes aufmerksam machen.
Auch der Titel des neuen Albums „Amatssou“ gibt ein Statement ab, bedeutet es doch „Hinter der Angst“. So wurden Tinariwen im Laufe Ihrer Karriere oft rassistisch angefeindet und mussten unter erschwerten Bedingungen ihre Alben einspielen.
Dieses mal war es kein politisches Hindernis, sondern Corona, das die Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Produzenten Daniel Lanois in Nashville verhindert hat. So wurde das Album letztendlich in Mali eingespielt, was aber nicht verhindert hat, dass auch beim neuesten Longplayer wieder internationale Künstler wie Fats Kaplin, als Gastmusiker vertreten sind.
Die traditionelle Musik der Tuareg wurde inzwischen verwestlicht und nistet sich oftmals irgendwo zwischen Country und Folk ein, dennoch erschwert die Muttersprache Tamaschek den Zugang zur politisch motivierten Musik der Künstler.
So singen Tinariwen wohl vom ewigen Widerstand und Kampf um die Freiheit sowie über die wachsende Macht der Salafisten. Als Westeuropäer begeistert die Dynamik und der mehrstimmige Gesang in Titeln wie „Tenere Den“ oder „Arajghiyine“.
Letzterer Titel geistert folklastig mit eindringlichem Sprechgesang durch den Äther und erzeugt mit Handclaps eine hypnotische Sogwirkung, welche später auch das countryeske „Jayche Atarak“ und „Anemouhagh“ für sich beanspruchen.
Die traditionellen Lauteninstrumente der Tuareg werden zur Einleitung verwendet, um diese später mit E-Gitarren zu vermählen. Sehr harmonisch gelingt das bei „Tidjit“ oder dem fast schon freudigen „Imidiwam Mahitinam“. Beeindruckend ist immer wieder der kehlige chorale Gesang, welcher energisch den Rhythmus vorantreibt.
Atmosphärisch am stimmigsten, trotz Verständigungsproblemen, ist wohl „Ezlan“. Zupfend die Weiten der Wüste erkundend und beschwörend den hellen Mond besingend, erzeugt dieser Song ganz eigene Sehnsuchtsphantasien. Erwähnenswert ist auch der bluesige Gitarrenansatz von „Nak Idnizdjam“, welche dem demütigen, rauhen Gesang mehr Tiefe verleiht.
Die Künstler rund um Gründungsmitglied Ibrahim Ag Alhabib verzaubern mit ihren traditionellen Instrumenten und der hypnotischen Wirkung Ihres Gesangs. „Amatssou“ kann trotz der Sprachbarriere eine Verbindung aufbauen, nicht nur zum musikalischen Schaffen von Tinariwen, sondern auch zum Schicksal der Tuaregs.
Mit ihrem mittlerweile neunten Album werden Tinariwen sicherlich weitere Menschen auf die Tuareg aufmerksam machen können. Alle anderen dürfen sich an einem Countryalbum erfreuen, welches mal nicht die Kulisse des mittleren Westens vor das geistige Auge zaubert.