Das bedeutet für mich, nie die Hoffnung zu verlieren – Afrob im Interview

Unter dem Pseudonym Afrob macht der schwäbische Rapper Robert Zemichiel seit fast 25 Jahren Hip-Hop, der zugleich politisch und persönlich ist. Beides vereint er auch auf seiner neuen Platte „König Ohne Land“, auf dem der Mittvierziger anfangs stinkwütend klingt, um später ruhig zu werden. Ein Gespräch über Hoffnung im Chaos, Durchatmen im Lockdown und warum er das ewige Kämpfen satt hat.

MusikBlog: Richard, im Intro deiner neuen Platte sagst du, „Menschen dieser Zeit / sind absolut verrückt“. Alle Menschen?

Afrob: Nein, denn nichts auf der Welt gilt für alle, aber aus meiner Sicht ist schon ein Großteil der Leute außer Kontrolle geraten. Trotzdem glaube ich an die Menschheit, die macht nämlich – auch wenn man davon gerade nur wenig sieht – insgesamt mehr schöne als schlechte Dinge. Was für mich bedeutet, nie die Hoffnung zu verlieren.

MusikBlog: Musikalisch klingt das Album allerdings so rough und wütend, als hättest du einen Teil deiner Hoffnung eingebüßt.

Afrob: Nach hinten heraus werde ich versöhnlicher, aber stimmt: zu Beginn schmeiße ich den Leuten ein paar Stücke Fleisch hin und schaue, was sie damit machen. Klingt dann vielleicht negativ und verschwörungsideologisch, aber ein bisschen Provokation kann nie schaden.

MusikBlog: Ist es das Negative, Verschwörungsideologische, was die Leute aus deiner Sicht am wahnsinnigsten macht?

Afrob: Wahnsinnig ist vor allem, dass sie sich nicht mehr zuhören können und wollen, dass sie die Aussagen des Gegenübers nicht mehr in ihre Argumentationen einfließen lassen, dass sie deren Grenzen nicht respektieren, also Grundprinzipien der Kommunikation missachten.

MusikBlog: Verglichen mit deiner Anfangszeit 1999 ist also alles schlimmer geworden?

Afrob: Ja, damals hab‘ ich den Wahnsinn im Mikrokosmos empfunden als einer, der nicht so aussieht wie andere und es zu spüren kriegt. Das hat den Mikrokosmos nun in den Makrokosmos verlassen und macht es mir schwer, durch die Öffentlichkeit zu navigieren und gemeinsame Nenner zu finden.

MusikBlog: Das versuchst du?

Afrob: Klar. Schließlich bin ich trotz meiner Hautfarbe privilegiert, sozial aufgestiegen, gut beschäftigt. Aber die Außenwahrnehmung auf mich ist eine andere. Und den ewigen Kampf, der mir als Schwarzer im weißen Mitteleuropa auferlegt wurde, wollte ich gar nicht; das sollten eigentlich jene machen, die dafür gewählt wurden. Ich bin an Lösungen interessiert, nicht an Problemen.

MusikBlog: Mit deiner Musik als Kommunikationsangebote oder sind das dort nur Statements?

Afrob: Darin sehe ich keinen Widerspruch, sofern es nicht erzieherisch ist. Wenn sich jemand mit meiner Sicht der Dinge identifizieren kann und will, bin ich froh drüber, würde es aber nie voraussetzen. Dennoch habe ich Überzeugungen, deren Gegenpositionen indiskutabel sind, durch Social Media allerdings unglaublich viel schneller als früher Verbreitung finden.

MusikBlog: Der Bullshit wird vernehmbarer?

Afrob: Was wir jetzt erleben, gab es in ähnlicher Form schon immer, selbst Dinge wie Cancel Culture. Sie verlassen allerdings schneller den Raum und erzeugen ungleich lautere Empörung.

MusikBlog: Erreicht ein Kommunikationsangebot wie „König Ohne Land“ denn auch die lauthals Empörten oder am Ende doch nur die Gleichgesinnten deiner eigenen Bubble?

Afrob: Da mache ich mir schon lang keine Illusionen mehr.

MusikBlog: Weil du trotz deiner Erfolge nicht die Reichweite größerer Popstars hast?

Afrob: Weil ich mir meines Dunstkreises bewusst bin, in dem ich niemanden belehren und ihnen sagen will, wie sie ihr Leben führen sollen. Deshalb bleiben meine Texte meistens eher auf zwischenmenschlicher Ebene.

MusikBlog: Warum wimmelt es auf „König Ohne Land“ dann nur so vor Hinweisen auf Krieg und Waffen?

Afrob: Stimmt, das bringt vielleicht die schwarze Perspektive mit sich. Darüber hinaus aber wird es gerade im zweiten Teil des Albums ruhiger.

MusikBlog: Ist das auch eine Altersfrage, mehr Gründe zur Wut zu haben, aber sich weniger darüber aufzuregen?

Afrob: Vielleicht, aber wenn jemand wie ich, der tendenziell noch immer am Rand der Gesellschaft steht, ständig wütend wird, würde er viele Klischees erfüllen, die ich nicht erfüllen will. Es ist einfach klüger, emotionslos und strategisch an das Thema Rassismus heranzugehen. Damit es mir irgendwann nicht mehr auf die Eier geht, brauche ich daher Ergebnisse, und zwar nicht nur für mich, sondern alle, die aussehen wie ich. Dafür braucht man gelegentlich ein bisschen Wut, aber auch den Kopf, das Herz, bisschen Muskeln, sonst ist es schwer, Leute auf den Weg zu bringen. Und dafür machte mein Album ein paar Angebote, die der Hip-Hop mit sich bringt.

MusikBlog: Das CNN der Schwarzen, wie es früher hieß.

Afrob: Jedenfalls ein Medium mit sehr viel Text, dem zugehört wird. Und weil ich es noch richtig physisch auf Vinyl pressen lasse, erreicht es die Menschen besser.

MusikBlog: Empfindest du dich dabei als Einzelkämpfer oder Teil einer Bewegung?

Afrob: Weil die Leute, mit denen ich privat zu tun habe oft dieselben sind wie die, mit denen ich Musik mache, existiert schon ein gemeinsamer Nenner, was aber nicht heißt, dass wir alle dieselben Kämpfe ausfechten. Zumal ich, obwohl sich das gesellschaftliche Klima durch die Flüchtlingsdebatten seit 2015 nochmals verschärft hat, selber nicht dauernd welche führe. Ich mache auch keine Gesinnungstests bei Leuten, mit denen ich zu tun habe. Weißt du, wer meine Platten kauft?

MusikBlog: Fans & Friends?

Afrob: Überwiegend Deutsche, Männer vor allem, denen es völlig egal ist, wie ich aussehe, weil sie meine Musik lieben. Das ist meine Bewegung.

MusikBlog: Und wie ist es mit der Hip-Hop-Szene, deinen Wurzeln in Stuttgart zum Beispiel?

Afrob: Beste Stadt der Erde (lacht). Nee, diese Romantisierungen alter Subkulturen an einem Ort, die zusammenhalten, sind schön, aber falsch. Das macht die Wirklichkeit allerdings nicht unbedingt schlechter, nur realistischer. In den letzten fünf Jahren, die in jeder Hinsicht hart für alle waren, haben sich neue Gemeinschaften rausgebildet, die mir neue Hoffnung machen. Ich glaube an die Zukunft. Weißt du, was ich mit meinen Platten mache?

MusikBlog: Na?

Afrob: Ich schicke drei Kopien davon zu einem Archiv in München, das deutsche Kunst sammelt, und hoffe, die lagern das 300 Meter tief unter der Erde, und in 200 Jahren holt jemand meine Alben als Zeitdokumente hoch und hört rein, was wir damals zu sagen hatten.

MusikBlog: Du schreibst deine Texte für die Ewigkeit?

Afrob: Klar, ich bin Schwabe. Alles muss von Dauer sein: das Haus, der Garten, die Alben.

MusikBlog: Macht dich das zum Perfektionisten?

Afrob: Ja, und es macht mich wahnsinnig, immer in Schönheit sterben zu wollen. (lacht) Ich beneide Leute, die ins Studio gehen und in zwei Wochen ein Album produzieren; ich brauche manchmal zwei Wochen für einen Vers.

MusikBlog: Bist du denn mit diesem Album in Schönheit gestorben und kannst es nach München schicken?

Afrob: Sonst würden wir hier nicht sitzen, deshalb hab‘ ich den Start ein Jahr verschoben, und wenn ich jetzt so drüber nachdenke, ist es womöglich falsch, tagelang über einer Zeile zu brüten. Das ist nicht gewissenhaft, sondern ängstlich. Aber Angst ist okay, Angst ist gut, Angst kann dich schützen, vor dir und anderen. Deshalb sage ich im Intro: „Ich denk’s immer groß / ich mach’s immer klein“.

MusikBlog: An anderer Stelle rappst du über die Corona-Lockdowns: „Ich durfte nicht ans Mic / doch ich war niemals so frei“. Ernsthaft?

Afrob: Ernsthaft. Obwohl meine Eltern beide gestorben sind, war dieses Durchatmen unbezahlbar. Ich hatte endlich mal keinen Zwang, irgendwas zu machen. Schön.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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