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Peter Gabriel – Live in der Festhalle, Frankfurt

Die Entscheidung zwischen waghalsig und wankelmütig entsteht im jeweiligen Moment. Peter Gabriel reitet in der Frankfurter Festhalle auf der Rasierklinge. Als Weltverbesserer mit Weltmusik ergibt sich bei ihm gleichermaßen Dröges wie Triumphales. Beides auf seine Weise ungewöhnlich.

So betritt der einstige Bandgründer und Sänger von Genesis zunächst etwa allein die Bühne und liest von einem Manuskript auf Deutsch vor, wobei er scherzt, dass es ein Avatar sei, der hier gerade zum Publikum spricht und der wahre Peter Gabriel irgendwo am Strand liege.

Begleitet von technischen Problemen singt er das erste Stück „Here Comes The Flood“ auch auf Deutsch, während im Hintergrund der Mond auf der kreisrund geneigten Leinwand aufgeht. Das zählt nicht zu seinen besten Ideen. Er witzelt weiter, um die technischen Probleme zu überspielen, das Publikum lacht geduldig.

Den ungelenk wirkenden Auftakt nutzen einige, um Bier zu holen, während sich die Sitzgruppe auf der Bühne um ein gestelltes Lagerfeuer vergrößert. In dieser leicht kitschigen Kulisse stellt Gabriel überschwänglich seine dort platzierte achtköpfige Band vor, als wären bereits die Zugaben dran.

Die Intention vom Bild des Höhlenmenschen, der am Lagerfeuer unterm Vollmond nur mit Geräuschen kommuniziert – es will nicht so recht zünden. Dafür ist die Musik, die folgen sollte, zu progressiv und fortgeschritten.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich aus der mittelmäßigen Comedy-Show ein tatsächliches Konzert herausschält und orangefarbene Männchen als Bühnenarbeiter das Setting umbauen, um für den ersten neuen Song „Panopticom“ vom kommenden Album „i/o“ ein stimmigeres Bühnenbild herzurichten.

Das Stück ist eines von insgesamt 11 neuen Songs – die meisten von erstaunlich guter Qualität, wie etwa auch der Titel „This Is Home“, bei dem Gabriels Stimme zwar ein paar altersbedingte Schwächen offenbart, dafür aber die Show an Fahrt aufnimmt und das Setting ein Wohnzimmer mit ausladender Bibliothek und saisonalem Gemüse aufspannt.

Als darauf mit „Sledgehamner“ der letzter Song des ersten Sets folgt, ist zum ersten Mal wirklich Stimmung im Kuppelrund der Festhalle. Mit seinem charismatischen Bassisten Toni Levin zur Linken und Gitarrist David Rhodes an Gabriels rechter Seite, geben drei Kahlköpfige mit synchronen Tanzschritten die illustren Entertainer vor der Halbzeitpause, bei der der bizarre Anfang in Vergessenheit gerät.

Das zweite Set überzeugt mit weniger Schwankungen und hat lediglich beim Duett „Don’t Give Up“ noch eine der zweifelhafteren Inszenierungen in petto. Als Gabriel und seine Cellistin und Backgroundsängerin Ayanna Witter-Johnson von unterschiedlichen Seiten im Gleichschritt eine Treppe emporsteigen um von oben runter zu singen, wirkt das einen Deut zu Musicalhaft. Witter-Johnson singt dabei solide, kann stimmlich Kate Bush aber nicht das Wasser reichen.

Mit „Red Rain“ schließt sich dann der eindrücklichste Song des Abends an. Es ist vielleicht der beste, den Gabriel je geschrieben hat, wenngleich „Big Time“ und das finale „Solsbury Hill“ zu den am lautesten beklatschten zählen, bei denen Gabriel das Mikro auch mal hält wie einen Suppenlöffel.

Spätestens hier hält es auch die Empore nicht länger auf den Sitzen und die beiden Zugaben „In Your Eyes“ und „Biko“ werden von Standing Ovations begleitet. Zum Dudelsack-Finale des Menschenrechtssongs erscheint dann das Portrait von Steve Biko auf der Leinwand und strahlt als mahnender Schlussakkord über ein Konzert hinaus, bei dem die Höhen, die nicht von der Hand zu weisenden Tiefen am Ende doch klar ausstechen.

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