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Wie man von der Traurigkeit zu einer Art von Glück findet – Protomartyr im Interview

Ein Neuanfang für Album Nummer sechs, das hat sich die Alternative-Rock-Band Protomatyr aus Detroit vorgenommen. Düstere Arrangements und gehaltvolle Texte sind dazu auf „Formal Growth In The Desert“ das Mittel der Wahl und kommen, gemäß dem Titel, in Begleitung kleiner Hoffnungsschimmer und positiver Noten. Ein Gespräch mit Sänger Joe Casey und Gitarrist Greg Ahee über politische Musik, Inspirations-Flauten, und wie man als Band zurück zu den Wurzeln gelangt.

MusikBlog: Joe, in einem Interview hast du mal gesagt, dass eure letzten fünf Alben eine in sich geschlossene Einheit sind. Heißt das, „Formal Growth In The Desert“ repräsentiert einen Neuanfang für Protomatyr?

Joe Casey: Zu sagen, die letzten Alben seien das Ende eines Kapitels gewesen, war ein Weg, uns alles offenzuhalten. So mussten wir nicht weiter an der Vergangenheit festhalten und nach Protomatyr klingen, wenn wir ein neues Album machen wollten. Aber dann sind Quarantäne und Lockdown passiert und es sah wirklich so aus, als könnte die letzte Platte ein Ende gewesen sein, denn wer wusste, wann wir wieder zusammenkommen und an einer neuen arbeiten könnten. Deswegen denke ich, dass es im Nachhinein gut war, das zu sagen, weil es uns erlaubt hat, völlig offen an diese Platte heranzugehen.

MusikBlog: Was hat es denn mit dem Titel auf sich – „Formal Growth In the Desert“? Zeigt uns die Platte, wie das geht?

Joe Casey: Ich habe den Titel von einem gleichnamigen Gemälde von… (überlegt kurz)

Greg Ahee: Maxwell Perrish!

Joe Casey: Genau! Denn in den Songs geht es darum, wie man von der Traurigkeit zu einer Art von Glück findet. Wie man nach etwas Schrecklichem weitermachen kann.

MusikBlog: Die Grundatmosphäre des Albums ist sehr perspektivlos und düster. War das eine Stimmung, mit der ihr als Band während des Entwicklungsprozesses konfrontiert wart?

Joe Casey: Oh, das ist wahrscheinlich etwas, das die Musik macht. Ich reagiere textlich immer nur auf das, was der Sound mir vorgibt. Und manchmal liege ich damit falsch, aber ich versuche, die Stimmung der Musik mit Worten einzufangen.

Greg Ahee: Ja, die Musik wurde definitiv in der Covid-Ära geschrieben, eine sehr isolierende Zeit. Ich habe nicht einmal absichtlich angefangen, Musik zu schreiben, die sich wie eine Verwüstung anfühlt, es ging wie von selbst in diese Richtung.

MusikBlog: Der Sound kommt also in eurem Entwicklungsprozess zuerst. Wie kommt er genau zusammen?

Greg Ahee: Das ist sehr unterschiedlich. Diese Platte ist irgendwie anders als die letzten. Normalerweise denke ich mir die Musik aus, versuche ein paar Songs fertig zu stellen und dann kommen die Jungs und geben dem Ganzen ihren eigenen Dreh und machen es besser. Dieses Mal war ein bisschen anders, denn es gab fast ein Jahr, in dem ich überhaupt nicht gespielt und geschrieben habe. Wir haben dann einen Retreat gemacht als Band – das haben wir vorher noch nie gemacht – aber so konnten wir eine Woche Songs durchspielen, die wir in den letzten Jahren geschrieben haben und auch ein paar neue Songs schreiben.

MusikBlog: Wie habt ihr diesen Ausflug erlebt? Hat er euren Sound auf eine andere Ebene gehoben?

Greg Ahee: Ja. Dieser Albumprozess war am Anfang wirklich frustrierend, weil ich seit langer Zeit nicht mehr kreativ gedacht hatte. Es hat es eine Weile gedauert, bis sich die Räder wieder drehten, und ich glaube, dass taten sie, als wir alle zusammen in diesem Raum waren. Wir fühlten uns endlich wieder wie ganz am Anfang, wo wir einfach experimentieren konnten und keine Angst hatten. So konnten wir unsere Begeisterung zurückbekommen, die hatte ich am Anfang ein bisschen verloren.

MusikBlog: Lag es an einem Mangel an Inspiration, dass ihr während der Pandemie keine Musik gemacht habt?

Joe Casey: Es schien einfach eine unsichere Zeit zu sein und wir waren keine Band, die über Zoom geübt hat. Unser letztes Album kam ziemlich genau zu Beginn der Pandemie heraus und es war sehr enttäuschend, an etwas zu arbeiten, auf das wir stolz sind und es dann irgendwie in den Äther zu schicken. Ich habe mich einfach schlecht gefühlt, ich war nicht in der Lage, darüber nachzudenken, lustige oder interessante Songs zu schreiben. Aber der Zustand, in dem ich mich befinde, muss sich richtig anfühlen, denn wenn ich etwas spiele und nicht den richtigen Kopf dafür habe, hört es sich scheiße an. Es ist wirklich wichtig, wo ich geistig und emotional stehe, wenn ich anfange Songs zu schreiben.

MusikBlog: Daraus entsteht dann oft das Gegenteil von Easy-Listening. Warum nehmt ihr diese eher schwierige Rolle an, gehaltvolle Musik zu machen?

Greg Ahee: Ich glaube, wir haben schon immer gemerkt, wie wir als Musiker am besten spielen. Einer der ersten Songs, den wir je geschrieben haben, heißt “Chambers”, und der war die ganze Zeit über voller Anspannung, das fühlte sich schon beim Schreiben richtig an. Und dann sind wir irgendwie dafür bekannt geworden, dass wir in Songs große Spannung aufbauen, ohne dass sie sich auflöst. Deshalb mag ich es manchmal auch, ein großes Pay-off zu geben, weil man das bei uns nicht wirklich erwartet.

MusikBlog: Wie wichtig ist es für euch, in eurer Musik wichtige Themen anzusprechen oder sogar politisch zu sein?

Joey Casey: Am Anfang war es nicht das Ziel, über unser tägliches Leben zu schreiben oder speziell über das, was in Detroit vor sich ging. Aber irgendwie – ich glaube, das hat vor zwei Alben angefangen – hofft man, dass die Leute auf Dinge, die man schrecklich findet, auf die gleiche Weise reagieren. Das Einzige, was man gegen den Horror der Welt machen kann, ist, immer wieder darüber zu sprechen, und das gibt einem Grund, Texte zu schreiben. Denn manchmal fällt es mir schwer, herauszufinden, worüber ich schreiben soll. Es macht mir nichts aus, als politische Band bezeichnet zu werden, die bloße Existenz kann manchmal politisch sein.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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