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PVRIS – Evergreen

Beim Wort “Evergreen” mag der eine oder die andere Fernsehgeschädigte an Teleshopping und Schlager-Compilations denken, mit legendären Hits aus den vergangenen Jahrzehnten zu sensationellen Preisen. Und wenn man sofort anruft, gibt es das obligatorische Messerset gratis dazu. Im Falle des Bandprojekts PVRIS von Frontfrau Lynn Gunn handelt es sich bei “Evergreen” um ihren vierten Longplayer beim inzwischen dritten Musiklabel. Auf dem Cover-Artwork präsentiert die Sängerin Lynn ihren abgetrennten Kopf und will sich radikal neu erfinden.

Bereits mit ihrem letzten Album “Use Me” in 2020 sollte eine neue Ära beginnen. Man kehrte dem weichgekochten Post-Hardcore aus ihren Anfängen endgültig den Rücken und huldigte “Konstrukten aus Glitzer-Gitarren und Echo-Effekten”. “Evergreen” markiert den nächsten Befreiungsschlag und gerät wieder deutlich rockiger.

Selbstbestimmung muss laut sein, das signalisiert schon die in Großbuchstaben gehaltene Tracklist. Wem dieser Wink mit dem ganzen Scheunentor noch immer zu subtil ist, dem hilft der rasante Opener “I Don’t Wanna Do This Anymore”. Der kathartische Chorus eignet sich gleichermaßen für Straßendemos wie auch für die Frustration ob des riesigen Berges an Bügelwäsche.

PVRIS’ Power-Pop ist gnadenlos. Es reiht sich Ohrwurm an Ohrwurm, Pause gibt es vorerst keine. Die Upbeat-Nummer “Good Enemy” steht am Rande des Abgrunds. Jeglicher Schmerz offenbart sich als optimistische Angriffslust.

“Goddess” trotzt jedweder Schubladisierung: “Is she a wo’ or a man? I’m a motherfucking brand.” Diese erfrischende Selbstüberschätzung schreckt auch nicht davor zurück, sich am Klangkosmos von Muse zu bedienen.

Bedrohliche Gitarren und Lynns mit Effekten beladener Gesang dominieren in “Hype Zombies”, bevor der Track mit einem köchelnden Instrumentalteil langsam erstirbt.

Gemeinsam mit Linkin Parks Mike Shinoda sorgt PVRIS in “Take My Nirvana” für eine bekömmliche Dynamik im Song. Das tut der bisherigen musikalischen Dampfwalze gut. Es ist ein letztes Aufbegehren der erbarmungslosen Aufdringlichkeit, bevor der ruhigere Teil von “Evergreen” eingeleitet wird.

Das abgestumpfte Ohr wird von nun an mit streichelweichem und melancholischem Pop verarztet. “Senti-Mental” ist verspielt und leichtfüßig, “Love Is A…” hingegen geerdet und entschlossen. Beide Tracks werden begleitet von einem reizenden Bass und markanten Klavierakkorden.

Der Titeltrack “Evergreen” befreit sich mit wabernden Synths und klatschenden Beats von allem Irdischen. Auch “Anywhere But Here” entsteigt seiner anfänglich reduzierten Instrumentierung und hat als längster Song des Albums Zeit, sich zu entfalten.

Apropos längster Song: Das Geheimnis um die Kurzweiligkeit von “Evergreen” ist schnell gelüftet. Sieben der 11 Tracks überschreiten nicht einmal die Drei-Minuten-Marke.

Statt ausnahmslos grobem Eindreschen in der ersten Hälfte und umsichtigem Betüdeln in der zweiten, würde ein stetes Wechselspiel beider Gegensätze für ein stimmigeres Gesamtbild sorgen. Am Ende ist “Evergreen” die vertonte Janusköpfigkeit zwischen Holzhammer und Wundheilsalbe.

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