Die eigenen Wurzeln zu entdecken, wird oft nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte, sondern auch mit dem Land, in welchem die eigenen Wurzeln vergraben liegen. Die Belgierin Melanie de Biasio packt die Schaufel in Italien aus, dem Heimatland Ihres Vaters. Mit “Il Vaggio”, der Reise, begibt sie sich nach Südeuropa.
Die belgische Sängerin und Querflötistin hat bisher mit einem eigentümlichen Mix aus Jazz, Soul und R&B – vermengt mit modernen Elementen – die Kritiker zu überzeugen gewusst. Ihre oft düsteren Begegnungen mit sich selbst legt sie auch auf ihrem neuen Werk nicht ab. Die Musik hingegen gleitet in die Stille hinein, was ihrer sanften, oft schon flüsternden Stimme sehr zuträglich ist.
Melanie de Biasio hat zu Beginn ihrer Karriere eine seltene Lungenerkrankung erlitten, welche ihr Stimmvolumen beeinträchtigt hat. Auf “Il Viaggio” macht sie sich das zu Nutze und fordert gerade durch die leisen Töne, die Stille, die volle Aufmerksamkeit des Hörers.
Schon der mit beschwörender Akustik verzauberte Opener “Lay Your Ears To The Rail” zeigt die weitere Gangart auf. Innehalten ist die Devise von Titeln wie dem von sanftem Klavierspiel und gehauchtem Gesang begleiteten “Nonnarina”, dem mit sphärischen, wabernden Klängen unterlegten “Il Vento” oder “We Never Kneel To Pray”.
Gesprochen, ja fast betend lädt de Biasio zu einer emotionalen Reise in ihre Vergangenheit ein. Diese Rückblicke sind intim, spirituell und doch findet sich jeder in Titeln wie “I’m Looking For” oder “Mi Ricordo Di Te” wieder.
Schnarrende Gitarren, gehauchter Wind und eine sehnsüchtige Di Biasio verlieren sich immer wieder im ambienten Klangraum. Verblasste Erinnerungen lassen Sehnsüchte erwachen, während Melanie mit ihrer starken Stimmfarbe für wohlige Momente zum Erinnern sorgt.
Die Singleauskopplung “Now Is Narrow” ist zentraler Drehpunkt von “Il Viaggio”. Das Klavier lässt die Sängerin in einem unterschiedlich intonierten Dauerrefrain verharren, welcher sich zu einem wahren Mantra entwickelt.
Die Akustik der Ruhe, welche das gesamte Album begleitet, lässt instrumentale Werke wie “Chiesa” nach einem Herbsttag in der Toskana klingen. Genau der Moment, in dem der morgendliche Nebelvorhang die ersten Sonnenstrahlen auf die Tautropfen fallen lässt.
Die Grenzen von Songlängen testet “Alba” aus, verwöhnt uns aber mit 18-minütigem Querflötenspiel in klassischer Elegie.
“Il Viagio” ist eine bewusste Reise ins Innere. Beinahe meditativ lädt uns de Biasio ein ins Land ihres Vaters, vertont in ambienter Stille, getragen von ihrer markanten Stimme. Man sollte diese Reise bewusst antreten.