Gesang gehört zur Musik. Wohl ein Grund, warum mir Instrumentalalben erstmal nicht den Drang entlocken, sie sofort auf Albumlänge zu hören. Die Berliner Band ZAHN, die aus Mitgliedern der Kraut-Rock-Kombo Heads und der Liveband von Einstürzende Neubauten besteht, lässt meine Meinung  aber wohl ohnehin kalt.

Mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum konnten Zahn bereits 2021 die Kritiker von ihrem instrumentellen Ansatz überzeugen, beim Zweitwerk öffnet man die Genregrenzen etwas weiter.

Den Campingtrip nach Jesolo untermalen ZAHN mit ihrem Instrumentals zwar nicht, dennoch sind die 11 Tracks abwechslungsreich und vielseitig. Mit dem Opener „Zebra“ taktet man sich zaghaft ein, bevor „Zehn“ auf sieben Minuten Länge diverse Bögen hin zur krautrockigen Explosion spannt.

Mit treibenden Riffs und sphärischen Synthesizern zentriert sich der Titeltrack „Adria“ auf das wuchtige Drumfundament, welches bei „Schmuck“ einem flötenden, sägenden Klangkonstrukt weicht, welches das um melodische Gitarrenakkorde erweiterte Prinzip Spannungsbogen überstrapaziert. Nach sieben Minuten implodiert der Titel im brachialen Kraut-Rock-Stakkato und lässt mit Vorfreude auf die nächsten Titel hoffen.

Darunter ist das mit elektronischen Beats fiebernde „Apricot“, welches flirrend sphärisch ein Rockkonstrukt erbaut, das jedoch unvollendet in einem Riffgewitter endet. Auch das spätere „Idylle“ verliert sich im experimentellen Studioreigen zwischen elektronischen Klängen und einer reduzierten Akustik.

„Faser“ und „Tabak“ spielen weiter mit der Erwartungshaltung, während Ersteres Fingernägel kauend auf die Erlösung durch Bassgitarren wartet, eröffnet Zweiteres mit eben jenem Saiten-Intermezzo, bevor es eine Verschnaufpause einlegt.

Die Berliner verstehen sich darauf, die Dynamik von Songs zu steuern. Auf Albumlänge strapaziert es die Aufmerksamkeit allerdings enorm. So verkommt „Yuccatan 3E“ zum verqueren Synthesizer-Experiment mit allgegenwärtigem Gitarrenriff-Abfuck, „Amaranth“ zum stampfenden Monstrum, das jedoch nach einer Minute schon alles Hörenswerte dargeboten hat, sich aber noch fünf weitere Minuten die Essenz dessen aus dem Noise-Rock-Leib presst.

Rhythmisch sphärisch kocht „Velour“ ein eigenes Süppchen, zelebriert das Spiel der Saiten und die Harmonie mit den Drums auf der Sieben-Minuten-Trackformel und lässt nichts als Zufriedenheit und erfüllte Erwartungen zurück.

Freunde von Noise-Rock kommen auf ihre Kosten, auch weil das folgende „Kotomoto“ mit orchestralem Einstand und Brachialbass wie ein verlängertes Outro des Vorgängertitels wirkt. Die Percussion und zupfend melodischen Gitarrensaiten verkopfen den Track später zur klassischen Studiosession, deren Ausrichtung man als passiver Zuhörer nicht unbedingt folgen kann.

Das haftet dem gesamten Album an. Man fühlt sich wie ein Spektator von sich anbahnenden, stets eskalierenden Erlebnissen, wie ein Beobachter von intimen Momenten – fast so, als würde man vom Rücksitz aus den Eltern zuhören, während Staulawinen, Raststätten und Berglandschaften vorüberziehen.

Fast so, als wäre man auf dem Weg zur „Adria“.

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