Marika Hackman braucht die Kontrolle wie die Luft zum Atmen. Mit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 wurde ihr die Kontrolle entzogen. Plötzlich waren alle festgezurrten Alltagsrituale nicht mehr präsent. Quasi über Nacht wurde der Britin das Daseinsfundament unter den Füßen weggezogen. Die Folge: Marika Hackman verlor sich in einer monatelangen Schreibblockade. Erst mit Beginn der Lockerungen fand die Sängerin wieder zu sich und ihrer Musik zurück. Zwei Jahre später präsentiert Marika Hackman nun ihr viertes Studioalbum „Big Sigh„. Kurz vor der Veröffentlichung des Longplayers trafen wir uns mit der Solokünstlerin zum Interview und sprachen über künstlerische Fundamente, Schreibblockaden und magische Momente.
MusikBlog: Marika, deine neues Studioalbum trägt den Titel „Big Sigh“ („großer Seufzer“). Auf dem Cover sieht man gezeichnete, schneebedeckte Berge und einen kaputten Einkaufswagen. Wie passt das alles zusammen?
Marika Hackman: Die Ideen zum Titel und zum Cover reiften unabhängig voneinander. Der Titel war letztlich das Ergebnis eines emotionalen Prozesses. Die Arbeit an diesem Album war sehr hart für mich. Es war auch ein ziemlich langer Prozess. Im Studio war es dann so, dass wir nach jedem erfolgreichen Take eine gewisse Befreiung spüren konnten. Das klassische „Seufzen“ wurde ein stetiger Begleiter. So kam der Titel zustande.
Beim Artwork war es so, dass alles schon so weit fertig war und ich mir überlegte, was am besten passen würde. Für mich sind die Stimmungen und auch viele Sounds auf dem Album sehr urban und grundlegend. Das passt meiner Meinung nach perfekt zu einer gezeichneten Darstellung, in der es ja auch um das künstlerische Fundament geht. Ich stieß dann auf Brian McHenry, einen irischen Zeichner, der viel mit Bleistiftzeichnungen arbeitet. Am Ende gefiel mir die Kombination mit den wunderschönen Bergen und dem zerstörten Einkaufswagen irgendwie am besten.
MusikBlog: Musikalisch geht es im Vergleich zum Vorgänger „Any Human Friend“ wesentlich ruhiger zu – und trotzdem versprühen die Songs viel Kraft und Energie.
Marika Hackman: Auf dem letzten Album präsentiere ich mich musikalisch sehr offen und neugierig. Da gab es Gitarrenriffs und Basslines und offensive Beats. Diesmal war der ganze Prozess wesentlich schwieriger. Ich habe lange Zeit überhaupt keine Ideen gehabt. Als es dann endlich losging, war mir wichtig, dass ich das Fundament des Ganzen in den Vordergrund stelle. Ich wollte nicht zu viel darüber nachdenken, wie ich welchen Song in irgendeine Richtung lenken kann. Ich wollte, dass sich die Songs selbst entwickeln.
MusikBlog: Du hast während der Pandemie nicht nur unter den Lockdowns, sondern auch unter einer Schreibblockade gelitten. War diese Phase deine bis dato größte künstlerische Herausforderung?
Marika Hackman: Ja, absolut. Das Problem war nicht, dass ich keine Inspiration fand, sondern, dass ich lange Zeit kein Licht am Ende des Tunnels erblicken konnte. Das machte mir irgendwie Angst. Ich kannte das alles nicht. Ich war die zehn Jahre davor stets mit einem Lebensplan unterwegs. Dinge haben sich ritualisiert. Das hat mir Sicherheit gegeben. Plötzlich war das alles weg. Ich war dann über zehn Wochen auf dem Land bei meinen Eltern. Dort wollte ich zur Ruhe kommen. Aber der mentale Stress verfolgte mich und ließ mich nicht los. Glücklicherweise hat es dann irgendwann klick gemacht. Jetzt sitze ich hier mit einem komplett fertigen Album und bin überglücklich. Vor 15 Monaten war an diesen Zustand noch nicht zu denken. Das ist schon ziemlich krass.
MusikBlog: Bist du jemand, der sich in solchen Situationen vom Schaffen der Kolleg*innen wieder zurück in die Spur bringen lässt?
Marika Hackman: Eigentlich versuche ich, musikalische Einflüsse von außen während meines eigenen Schreibprozesses zu vermeiden. Ich bin da ein bisschen paranoid veranlagt. Ich habe dann immer Angst, dass ich mir unterbewusst zu viel aneigne. Ich kann mich aber erinnern, dass ich die letzten Monate immer mal wieder Musik von Ali G oder die neuen Sachen von PJ Harvey im Ohr hatte.
MusikBlog: Produktionstechnisch hast du das Projekt mit Sam Petts-Davies (Warpaint) begonnen. Später stieß dann noch Charlie Andrew (alt-J) dazu. War das so geplant?
Marika Hackman: Mit Sam habe ich das Fundament geschaffen. Charlie habe ich später noch dazu geholt, weil ich das Gefühl hatte, dass ich die letzten Meter des Albums mit ihm gehen muss, um am Ende wirklich zufrieden und glücklich zu sein. So war es dann auch. Ich kenne Charlie schon so lange. Bei ihm weiß ich genau, was noch möglich ist. Bei und mit ihm fühle ich mich einfach sicher.
MusikBlog: Ist diese Studiozeit die wichtigste und schönste Phase für dich?
Marika Hackman: Ich liebe die Zeit im Studio. Wenn die Songs fertig sind und man mit ihnen einfach nur noch Spaß haben kann, dann ist das ein sehr befreiendes Gefühl. Es gibt aber auch andere Momente, die unvergleichlich und mindestens genauso wertvoll sind. Wenn die ersten Songideen reifen und man merkt, dass man auf dem richtigen Weg ist… Wow! Diese Momente sind ebenfalls magisch.
MusikBlog: Apropos Magie und Entwicklung: Du standest mit 16 Jahren zum ersten Mal als Solokünstlerin auf der Bühne. Wenn du dich heute mit der Marika Hackman von damals vergleichst: Was hat sich alles verändert?
Marika Hackman: Oh, ich hoffe doch eine ganze Menge. (lacht) Nein, im Ernst: Ich war damals eine ängstliche und unsichere junge Frau, die keine Ahnung und natürlich auch keine Erfahrung hatte. Ich habe gelernt, dass man in der Musik nicht immer alles überdenken muss. Wenn man jung ist, neigt man dazu, in Größenordnungen zu denken. Das ist aber in der Musik gar nicht nötig. Manchmal ist weniger einfach mehr. Diese Sichtweise und diese Erkenntnis hatte ich damals noch nicht. Ich denke, das ist wohl die größte und wichtigste Veränderung.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.