Einzigartigkeit war nicht nur das erklärte Ziel von Lætitia Sadiers Band Stereolab, was diese auch einlöste. Heute, fast 15 Jahre nach dem letzten neuen Material der Londoner Formation mit französischen Schnörkeln, verfolgt die Frontfrau dieses Anliegen solo mit ihrem neuen Album „Rooting For Love“.

Lætitia Sadier überzeugt mit einer geschliffenen Mischung aus Besinnlichkeit und betriebsamer Flirrigkeit. Für diese beiden Pole stehen exemplarisch das Eröffnungslied „Who + What“, wie aus einer New Age-Meditations-Sitzung, und „Don’t Forget You’re Mine“ – dort kocht das überwiegend ruhige Werk zu einem dichten und getriebenen Gebrodel auf.

Zugegeben, heute stellt das Klang-Gemisch der 56-jährigen Multiinstrumentalistin nichts Neuartiges mehr dar. Denn Sadier selbst hat ihren Spagat aus gefälligem Pop und spröder Avantgarde oft so exerziert.

So ertönt heute ziellos waberndes Krautrock-Kreiseln, beispielsweise zu vernehmen in „New Moon“, im Verbund mit eingängigen Mustern, denen man einen kleinen Enya- oder (90er-)Björk-Effekt attestieren kann.

Weitere innere Spannung erzielt das atmosphärische Album „Rooting For Love“ aus einer Reihe von Gegensätzen: Seinem harmonischen Umgang mit Entfremdung in unserer neoliberal und neofaschistisch geprägten Zivilisation, der weichen musikalischen Einbettung ernster schwerer Themen und dem Aufprall analoger 60er-Jahre-Ästhetik auf 80er-Synthetik.

Englisch trifft siebenfach auf drei frankophone Tracks. Lætitia Sadiers Französisch hört sich aufgrund ihres harten Akzents immer noch wie das einer Fremden an. Obwohl sie im Großraum Paris zur Welt kam, verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend vor allem in den USA, bis sie dann in London andockte und Stereolab gründete.

Einiges aus der französischen Kultur wirkt an dieser Platte ausgeprägt retro: Da vermengen sich zwei große Stränge dessen, was aus Frankreich früher ins europäische Umland drang.

Einerseits macht sich der Synthie-Chanson der Achtziger breit. Andererseits zeigt sich der Yé-Yé-Beat-Rock der ‚Swinging Sixties‘, wie ihn Teilzeit-Gitarristin Sadier in „Une Autre Attente“ andeutet. Sie bewaffnet sich, trotz einer Werkzeug-Vielfalt von Kalimba bis Keyboard, mit Fender und Gibson.

Den Sechzigern entlehnt Lætitia Sadier außerdem etwas aus Brasilien, wenn sie in „The Dash“ Samba-Soul zitiert. Solche Einsprengsel aus Lateinamerika gab es bereits. Lætitia kollaborierte nämlich auf der EP „Summer Long“ (2016) und auf dem Longplayer „What Will You Grow Now?“ (2023) unter dem Pseudonym Modern Cosmology mit der brasilianischen Band Mombojó aus Recife.

Auf Internationalität setzt die Kosmopolitin auch bei der Besetzung, so macht Xavi Muñoz aus Barcelona am Bass mit. Als Autorin wirkt die belgische Art-Rock-Künstlerin Véronique Vincent auf „Rooting For Love“ mit dem Femizid-Song „Don’t Forget You’re Mine“. Die nachdrücklichen Töne an der Rhythmus-Gitarre kontrastieren die ansonsten oft flächigen, verträumten und fiependen Klang-Sorten der Platte.

Solche gestalterische Spreizung passt zum französischen Wort protéïforme (‚vielgestaltig‘ auf Deutsch). Læetitia baut daraus das Kunstwort „Protéïformunité“, also Vielfalts-Einheit. Dieser Titel steht für den auffälligsten Song. Ein zauberhaftes Drum-Gezappel verschmilzt mit einem fantastischen Vibraphon-Spektakel, in dem sich Blitz und Donner entladen.

Die Klammer über alle Nummern des Albums sind, wie üblich in der Stereolab-Welt, die E-Orgeln, insbesondere die Farfisa. Somit pflegt Lætitia Sadier ihren einzigartigen Marken-Sound.

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