Wie stünde es bloß um die deutsche Popmusik, gäbe es Bernd Begemann nicht? Was würden sie heute alle tun, die von Lowtzows, die Spilkers, die Distelmeyers? Wie sähe der Raum zwischen Punk und Schlager im Jahr 2024 aus?

Bernd Begemann verließ Mitte der 80er das provinzielle Bad Salzuflen und legte in Hamburg den Grundstein einer neuen Musikbewegung. Mit dem 1993 in seiner Küche produzierten „Rezession, Baby!“ setzte er den Maßstab für die sich damals bildenden Bands der sogenannten „Hamburger Schule“.

Dass sich die späteren Tocotronic-Musiker Dirk von Lowtzow und Arne Zank auf einem Begemann-Konzert kennenlernten und von Lowtzow auf dem Heimweg – in seinen musikalischen Grundfesten erschüttert – entschied, von nun an alles anders zu machen, nährt den Mythos: Begemann – Pionier und Inspirationsquelle.

Doch während Tocotronic, Blumfeld und Die Sterne den Durchbruch schafften, blieb Bernd Begemann ein Spezialfall. Seine eigenwilligen, sich nur bei Bedarf reimenden Texte, die fehlende Schlager-Berührungsangst, sein exzentrischer Witz – all das bescherte ihm eine eingeschworene, aber überschaubare Fangemeinde.

Auf seinem neuen – mit seiner Band Die Befreiung eingespielten – Album „Milieu“ macht sich Bernd Begemann nun genau diese Perspektive des Einzelgängers zu Nutze, aus der er die zunehmende Komplexität der Welt betrachtet.

Dass alles nicht mehr so unbeschwert ist wie noch auf dem Vorgängerwerk „Ein kurze Liste mit Forderungen“ von 2015, wird gleich im ersten Stück deutlich. „Es hat einen Vorfall gegeben“ – und mit jeder weiteren Snare scheint sich die Bedrohlichkeit der Lage auszuweiten.

Doch wie der Unsicherheit begegnen? Wie der Isolation entkommen? Bernd Begemann bietet uns auf den 14 sehr abwechslungsreichen, oft nicht einmal drei Minuten dauernden Liedern einen bunten Strauß verschiedener Antworten.

Während er in „Hallo Bett“ und „Ich wünsche es mir trotzdem“ noch einmal die bewährten Mittel des verdrängungsbegabten Alleinunterhalters präsentiert, der ignoriert und imaginiert, verfolgt Begemann auf dem angenehm entschleunigten „Kann Kein Allein Mehr“ einen anderen Ansatz.

„Immer hoch oben / auf kalten klaren Gipfeln / ein Vorsprung, der mich stolz macht / und ein Abstand, der mich schmerzt / Ich kann kein Allein mehr.“ Sucht hier der ewige Pionier und Wegbereiter den Weg zurück in die Gemeinschaft?

Als Bestätigung dieser Vermutung könnte auch die schon 2023 veröffentlichte Single „Gemäßigt ist das neue Radikal“ gewertet werden, in der sich der selbst ernannte Zentrist als Fürsprecher „lahmer“ Reformen gibt. Politischer wird das Album aber nicht.

Ob es Bernd Begemann gelingt, sich seiner Sonderstellung als verkannter Vordenker zu entledigen, bleibt unwahrscheinlich. Denn auch „Milieu“ – ein im Ganzen sehr vielfältig instrumentiertes, immer wieder überraschendes Werk („Sophia Thiel“) – wird dem Mainstream wohl fremd bleiben.

Und das, obwohl die Landschaft der deutschen Popmusik ohne Bernd Begemann heute vielleicht eine ganz andere wäre.

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