„Ich bin neu in der Hamburger Schule“, sangen Tocotronic 1995. Sie bezogen sich damit augenzwinkernd auf einen Sammelbegriff, der seit Anfang der 90er im Umlauf war. Und auf den noch heute immer wieder Bezug genommen wird.
So scheint es nicht verwunderlich, dass ebenjener Hamburger Schule nun ein weiteres Buch und eine dazu gehörige Compilation gewidmet wurden. Beides erscheint dieser Tage unter dem Titel „Der Text ist meine Party“.
Dass sich keiner der Protagonisten dieser Zeit – ob Jochen Distelmeyer, Frank Spilker oder Dirk von Lowtzow – einer einheitlichen Schule zurechnen möchte (und wenn dann nur in ironischer Weise), wird über die Lektüre des sehr lesenswerten Buches von Jan Engelmann deutlich.
Dennoch ist „Hamburger Schule“ mehr als ein Marketing-Begriff, der kenntlich machen soll, dass es sich um intellektuellen, deutschsprachigen Gitarrenpop handelt. „Hamburger Schule“ meint: mit einer bestimmten Haltung zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen zu sein.
Als es Ende der 80er eine Reihe von Musizierenden nach Hamburg zog, trafen sie auf eine Stadt mit einer vielfältigen Kneipenszene und fast unbegrenzten Auftrittsmöglichkeiten. Gleichzeitig stießen sie in ein historisches Vakuum. Der Kalte Krieg war vorbei, das „Ende der Geschichte“ erreicht – und Punk war auserzählt.
Es ging also darum, andere Wege zu finden und die Uneindeutigkeit der neuen Zeit einzufangen. „Die Gegenwart bei den Hörnern nehmen“, nannte das Bernd Begemann, der als einer der ersten zeigte, dass sich die deutsche Sprache auch fernab von Klamauk und Deutschtümelei als Medium nutzen ließ.
Die in den 90ern entstandene Hamburger Schule lässt sich wohl am besten als eine Form von Diskurspop beschreiben: ein Geflecht verschiedener Stimmen und unterschiedlichster Stile, verbunden in kollegialem Austausch und einem prinzipiellen Nicht-Einverstanden-Sein mit der Welt.
Diese vereinte Vielstimmigkeit ist nun auf „Der Text ist meine Party“ in eine sehr hörbare Form gebracht worden. Wir reisen zu den Anfängen von Tocotronic, Blumfeld und Die Sterne, begegnen aber auch weniger bekannten, nicht minder spannenden Bands wie Kolossale Jugend, Die Braut haut ins Auge oder Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs.
Auch Huah! sind zu hören mit ihrem erschreckend gegenwärtigen „Der Krieg-Song“ (1992). „Vor dem Krieg hatte ich einen Vater, vor dem Krieg hatte ich eine Mutter“, singt Frontmann Knarf Rellöm, um kurz darauf nachzuschieben: „Man muss sich ganz schön einschränken, wenn Krieg ist.“
Dass der Diskurs der Hamburger Schule neben seinen gesellschaftskritischen immer auch utopische Elemente in sich trägt, ist unüberhörbar. So auch bei Kante, die mit ihrem eindrucksvollen Gesamtwerk auf „Der Text ist meine Party“ wiederentdeckt werden können.
„Wir leben von einem Glauben, der unserer Gegenwart vorauseilt“, heißt es in „Die Summe der einzelnen Teile“ von Kante von 2001. Ob es diesen Glauben noch heute gibt? Hier warten wir auf Antwort der nachfolgenden Generationen.