Die Zeit auf dem Feld ist das, was wirklich zählt – A Certain Ratio im Interview

Wer im Flow ist, der sollte einfach weitermachen und nicht lockerlassen. So oder so ähnlich lautete wahrscheinlich das Motto, als die Herren Jez Kerr, Martin Moscrop und Donald Johnson von A Certain Ratio vor gut 12 Monaten ihr letztes Werk “1982” auf große Reise geschickt haben. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass die Briten dieser Tage schon wieder mit neuem Material um die Ecke kommen. Kurz vor der Veröffentlichung von “It All Comes Down To This” trafen wir uns mit ihnen zum Interview und plauderten über unbändigen Tatendrang, spannende Produktionsphasen und den Schlüssel zum Erfolg

MusikBlog: Jez und Martin, euer letztes Album “1982” ist gerade mal ein Jahr alt. Nun habt ihr schon wieder ein neues Werk am Start. Woher kommt dieser unerschütterliche Arbeitsantrieb?

Jez Kerr: Das hat vielleicht mit dem Alter zu tun. Je älter man wird, desto enthusiastischer wird man auch. (lacht)

Martin Moscrop: Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir diesmal nur in unserer Kernbesetzung gearbeitet haben. Bei den letzten Alben wurden wir von unheimlich vielen Leuten unterstützt. Das Bandgefüge während der Aufnahmen war groß, und wir haben auch einige Kollaborationen angestoßen. So flirrten unheimlich viele Ideen umher. Aus dieser Situation heraus entstand dann irgendwann der Gedanke, einfach weiterzumachen, allerdings in einer reduzierteren Konstellation. Jez, Donald und ich haben uns dann in die Arbeit gestürzt und uns dabei aufs Wesentliche fokussiert, nämlich Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang. Diese Konstellation hat viel Euphorie geweckt und noch mehr Energie freigesetzt.

MusikBlog: Musikalisch geht es fast in eine Greatest-Hits-Richtung. Ihr bringt viele Trademarks mit ein. Auf der anderen Seite klingen die Songs aber auch unheimlich modern und frisch. War das so geplant?

Jez Kerr: Geplant war eigentlich gar nichts – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als wir das Studio betraten. Da hat sich das Ganze dann so entwickelt. Wir wollten ein paar Sachen verändern und fanden mit unserem Produzenten Dan Carey (Foals, Sophie Hunger, Grimes) letztlich genau den richtigen Mann dafür. Er hatte die Idee, dass die neuen Sachen etwas düsterer klingen sollten. Wir haben ihm dann Demos geschickt, die so klangen wie unsere allerersten Aufnahmen vor über 40 Jahren. Er hat dann die Magie und den atmosphärischen Zauber reingebracht, für den er bekannt ist. Das hat einfach super funktioniert.

Martin Moscrop: Wir drei waren sehr motiviert und begeistert von der Idee, mal wieder so aufzunehmen wie in den guten alten Zeiten. Wir haben bei Dan im Studio in 12 Stunden zehn Backing-Tracks live eingespielt. Das sagt eigentlich schon alles.

MusikBlog: Lässt diese intensive Zeit Platz und Raum für Inspiration von außen?

Martin Moscrop: Ich bin immer auf der Suche nach neuer Musik – schon mein ganzes Leben lang. Und wahrscheinlich fließt da auch immer mal wieder etwas mit ein. Ich habe allein letzte Woche 200 Pfund für neue Platten ausgegeben. Da war beispielsweise Miles Davis mit dabei, aber auch neues Zeugs von einer Band namens Ceedfunk – ziemlich abgefahrener Funk. Ich bin ein absoluter Vinyl-Fan. Ich weiß noch, wie ich mich früher in den Siebzigern immer auf die Singles gefreut habe, weil da auf der B-Seite immer ein Track dabei war, der oft gar nicht mit aufs Album genommen wurde. Die B-Seiten waren meist viel spannender als die eigentlichen Single-Songs.

MusikBlog: Ihr habt jetzt schon so viele Sachen veröffentlicht. Welche Phase während einer Produktion schätzt ihr am meisten?

Jez Kerr: Das hängt immer von der jeweiligen Produktion ab. Diesmal war es bei mir so, dass ich die Zeit am spannendsten fand, als wir die Demos übergeben haben und Dan damit anfing, seine Ideen mit einzubringen. Das war ziemlich aufregend, weil man nicht genau wusste, was passieren wird. Leider war die Phase aber auch ziemlich kurz, weil Dan ein wahrer Meister der Entscheidungsfindung ist. (lacht) Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so schnell auf den Punkt kommt.

Martin Moscrop: Ich finde es immer sehr spannend, wenn man sich in der Situation befindet, in der man einem etwas zu eingängigen Song eine kleine, aber entscheidende musikalische Delle verpasst. Das ist nämlich gar nicht so einfach – und doch ist es total wichtig. Ich meine, jeder kann einen eingängigen Song schreiben. Aber nicht jeder kann einem Song Ecken und Kanten verpassen, was dazu führt, dass der Song am Ende auch eine Wirkung erzielt. Das war früher besonders spannend, als Jez und ich noch jede Menge Weed und Acid mit im Studio dabei hatten. (lacht)

MusikBlog: Wenn wir schon bei den guten alten Zeiten sind: Gab es einen bestimmten Moment, in dem euch bewusst wurde, dass die Band das Potential für eine lange und erfolgreiche Karriere hat?

Jez Kerr: Wir haben nie an eine lange und erfolgreiche Karriere gedacht. Wir hatten damals keine großen Ziele. Was uns zu Beginn ausgemacht hat und auch heute noch so ist, ist die Tatsache, dass wir einfach gerne in dieser Konstellationen zusammen Musik machen. Es ist doch wie im Sport. Natürlich freut man sich, wenn man in einer Mannschaft spielt, die am Ende der Saison Titel und Trophäen gewinnt. Aber der Sport selber und die Zeit auf dem Feld ist eigentlich das, was wirklich zählt.

MusikBlog: Hat diese Euphorie rund um das große Ganze irgendwann auch mal nachgelassen?

Martin Moscrop: Wir haben mit den Jahren gelernt, dass man zwischendurch auch immer mal wieder auf die Bremse treten muss. Wenn man als Band immer nur Vollgas gibt und sich keine Ruhepausen gönnt, dann reibt man sich irgendwann erschöpft auf. Wir haben immer mal wieder eine schöpferische und kreative Pause eingelegt. Das hat uns als Band sehr geholfen. Wenn wir das nicht getan hätten, wären wir heute wahrscheinlich gar nicht mehr am Start. Ich denke, dass die richtige Dosierung des Ganzen der Schlüssel für eine lange Musikkarriere ist.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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