Das Londoner Label Fire Records profiliert sich in seiner breiten Palette mit schwedischem Dream-Pop, italienischer Avantgarde und argentinischem Post-Punk. Marina Allen ist eine kalifornische Künstlerin, an die man in der Plattenfirma zurecht glaubt.
Ihre Pose auf dem Cover-Bild würde man gerne nachturnen können. Doch Rückenschmerzen und Verspannungen hindern immerhin so viele Menschen daran, dass Wirbelsäulen-Probleme seit Jahren als Krankmeldungsgrund Nummer eins firmieren und Fragen nach tieferen Ursachen aufwerfen.
Die erste Frage: Haben wir zu viel Zeitdruck? Marinas drittes Album „Eight Pointed Star“ hilft als interaktiver Kurs, um zu lernen, wie man zum eigenen inneren Kern findet. Dass dazu mehr gehört, als zu funktionieren, nämlich auch Traurigkeit, Innehalten und retardierende Momente.
Marina Allen drückt etwa im schlaftrunkenen „Red Cloud“ durch lautmalerisches Langziehen ätherisch geträllerter Vokale aus, dass es nicht für jede in-between-Stimmung Worte gibt. Dass statt geballter Information manchmal das In-Sich-Hineinhören zählt. Melancholie kann so wunderschön sein, dass es sich lohnt, sie auszukosten statt weiter zu eilen.
Eine weitere Frage: Zeigen wir zu oft eine digital verkleidete Fassade? „Eight Pointed Star“ führt auf geradlinigem Weg in die Echtheit handgreifbarer Musikinstrumente, wertet deren natürliche Klangfarben auf, wagt schroffe Momente, Zwischentöne und die Vielschichtigkeit menschlicher Ton-Erzeugung.
Folk-Rock heißt hier: maximal organisch und reichhaltig, entwertet die Relevanz von Folktronica. Es geht ohne Brimborium, ohne Plug-Ins, ohne KI. Schon Marinas Stimme bietet dieses Nahbare der realen Gefühle, so wie sie zwischen Elfenhaftigkeit, Abgeklärtheit und fröhlichem Aufbruchs-Schwung changiert.
Die Künstlerin aus New Jersey, die mit neun Jahren nach L.A. zog, singt schön und anmutig. Auf einer Spanne zwischen Punkiness und Folk-Fee-Aura sorgt die Kirchenchor-Erfahrene für Spannung. Ein Track wie „Love Comes Back“ fühlt sich da wie das Tauziehen zwischen inneren Stimmen an.
Marina Allen ordnet sich dem Erzählfluss ihrer Geschichten unter. „Als Kind in Chören zu singen, war eine prägende Erfahrung für mich“, verrät sie uns. „Da kann es sehr strikt zugehen. Das Individuum spielt da kaum eine Rolle. Es geht darum, aufeinander zu hören.“
Eine andere Frage, die sich anlässlich des Artworks stellt: Bewegen wir uns zu wenig? In einer Zivilisation des Sitzens zuckt am häufigsten der Zeigefinger. Die Los Angelianerin schafft es, im luftigen Folk-Hippie-Leinenkleid ein stretch-elastisches Album zum Mittänzeln vorzulegen.
„Eight Pointed Star“ profitiert in seinen neun Tracks von viel rhythmischem Twang. Neben den fein geschliffenen Lyrics, den bezaubernden Harmonien, einer traumhaften Versunkenheit, aufgeweckten lebendigen Vocals und der technisch hochwertigen Produktion macht der Groove viel vom Charme der Scheibe aus.
Allen glückt eine bereichernde Songsammlung in Pastelltönen, so warm wie auf dem Cover. „Eight Pointed Star“ zeichnet sich als kraftvoll und farbenprächtig aus und folgt den Fußstapfen von Allens Vorbild Joni Mitchell, ohne zu gewollt in sie hinein zu treten.