Kettcar bedanken sich zum Ende ihrer gestrigen Show im Tollhaus dafür, dass sie das alles auch nach Jahren immer noch machen dürfen: Musik, Platten, Konzerte. „Wir können ja auch nichts anderes“ scherzt Bassist und etablierter Pausenfüller Reimer Bustorff.

Schaut man sich unter den Besucher*innern ihrer Konzerte so um, besteht allerdings kein Grund zu zweifeln, dass das noch ein paar Jahre so weitergehen kann. Kettcars Publikum wächst über die Jahre solide mit.

Ob sozial Verschachteltes, Zwischenmenschliches und Liebeslieder. Ob eigene und kollektive Zweifel oder die später zunehmende Politisierung ihrer Platten – alles ist gleichermaßen willkommen. Unter Kettcar-Fans gibt es entsprechend keine Lager. Keine “Ich-mag-die-alten-Sachen-lieber”-Fraktionen. Dafür aber auch so gut wie keine Gen Z, die in jüngster Vergangenheit hier mal vorbeigehört hätte und geblieben wäre.

Dabei ist Kettcars neues Album „Gute Laune Ungerecht Verteilt“ inhaltlich von solch entschiedener Aktualität wie kaum eines zuvor – und erneut Garant dafür, dass sich die Hamburger nicht wiederholen.

Sie waren seit ihrer Gründung unzählige Male zu Gast in Karlsruhe, nie zuvor jedoch im Tollhaus. Thees Uhlmann habe ihnen die Location schmackhaft gemacht, wie Bustorff erzählt. Neben der Tatsache, dass jedes ihrer neue Alben stets stark genug ist, die Setliste aufzumischen, liegt es auch an ihm, dass selbst nach unzähligen Kettcar-Shows, die man miterleben durfte, keine Langeweile aufkommt.

Schließlich vermag der Bassist es, nie dieselbe Story zweimal zu erzählen. Stets hat er neuen Content in petto. Dieses Mal seine Mutter, als härteste Kritikerin der Band. Nach der halbakustischen Trennungsballade “48 Stunden” und all den vorausgegangenen „Liebesliedern“ habe er wohl grundsätzlich mit ihr darüber diskutiert, ob Karlsruhe überhaupt Bock auf die Gesellschaftskritik hätte, die gleich folgen sollte. Ihr Urteil darüber eindeutig: „Mein Sohn, ich habe dich nicht für diesen romantischen Scheiß groß gezogen. Sei Sand im Getriebe“.

„München, Harlaching, München alte Lady“, singt Marcus Wiebusch nur wenige Sekunden später, als wäre die Überleitung eine abgemachte Sache. Er und seine komplett in Schwarz gekleidete Band sind dann auch in jeder der gesprochenen Zeilen aus „Sommer 89“ jener von Mama Bustorff geforderte Sand im Getriebe. Oder wie Wiebusch es kommentiert: „Es macht uns zu Menschen, anderen durch Zäune zu helfen. Humanismus ist nicht verhandelbar“.

Diese Songs markieren den politischen Block des Sets, an den sich auch Wiebuschs Solo-Großtat „Der Tag Wird Kommen“ anschließt, bevor es wieder an Bustorff ist, die humorvolle Lockerheit einzuwerfen. Selbstverständlich mit einer Anekdote, dieses Mal über Die Toten Hosen, verbunden mit der Frage, ob man die Düsseldorfer Punkrocker im Sitzen genießen kann. Passgenau folgt „Auf Den Billigen Plätzen“ als ein weiteres Highlight ihres vorletzten Albums „Ich vs. Wir“.

Bis hierhin ist es ein äußerst kurzweiliges Vergnügen zwischen Überleitungen, Abwechslungsreichtum in Form und Inhalt sowie einer kleinen Weltpremiere: Mit den Worten „Seit 13 Jahren erstmals wieder live, sozusagen Weltpremiere in Karlsruhe“, moderiert Wiebusch „Anders Als Gedacht“ an und unterstreicht damit auch die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen der Band und ihrem Publikum.

Beide Seiten nehmen den Denksport beim philosophischen Teil des Abends gerne mit, der im Shopenhauer-Prinzip gipfelt: „Du kannst zwar tun was du willst, aber du kannst nicht wollen was du willst“, zitiert Wiebusch im Brief seines 20-jährigen-Ichs den Philosophen – einer der inhaltlich spannendsten Stücke der aktuellen Platte.

Während die Frage nach dem freien Willen noch im Raum steht, ist indes klar, was Kettcar wollen: Noch eine Weile weiter machen. Mit der qualitativen Beständigkeit, die sie an diesem Abend wieder an den Tag legen, dürfte das eine ausgemachte Sache sein.

Und nach dem Dank an die Academy brechen bei den Zugaben auch in Zukunft „Deiche“ richtig – oder eben nicht.

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