David Lynch hatte eine Vision. Beim Spaziergang im Wald sah er über den Baumwipfeln ein Licht, das sich in den Klang von Chrystabells Stimme verwandelte und ihm ein Geheimnis offenbarte.
Welches – das wird der Regisseur auf seiner neuen Platte „Cellophane Memories“, die eine weitere Zusammenarbeit mit der texanischen Musikerin markiert, die seit inzwischen einem Vierteljahrhundert mit ihm musikalische Wege beschreitet, bereits mit John Parish produzierte und eine komplette eigene Ausgabe mit The-Cure-Coverversionen veröffentlichte, nicht preisgeben.
Damit bleibt „Cellophane Memories“ bei der Dramaturgie von Lynchs Leinwandarbeiten, deren visueller Opulenz stets ein ausdruckstarker Soundtrack zur Seite stand („Kino besteht aus Ton und Bild – eigentlich 50/50″ so der 78-jährige David Lynch).
Auch ohne zugehörigen Film generieren die 12 Tracks des Albums eine Flut von Bildern im Kopf, vor der sich trefflich über das abgeschnittene Ohr aus „Blue Velvet“ nachdenken lässt.
In seinem Studio in Los Angeles fand der Protagonist eingangs des Produktionsprozesses einen beachtlichen Fundus anonymer Aufnahmen, deren Existenz ihm nicht mehr gegenwärtig war. Studiovorsteher Dean Hurley, der bei einigen der neuen Stücke Bass und Schlagzeug beisteuert, konnte aufklären: Sie stammten von ihm, Lynch selbst, aber auch vom 2022 verstorbenen Komponisten Angelo Badalamenti.
Auf Basis dieses Materials setzen Lynch und Chrystabell in gleichberechtigter Symbiose die Textur ihrer bisherigen akustischen Zusammenarbeit fort, formen auf einer Grundierung schwermütiger bis heiterer Synthieflächen nebulöse Klangkaskaden, auf der sich dramatische Streicher, einsam hallende Gitarren und verfremdete Töne zu einem faszinierenden Gesamtkonstrukt zeitgebremster Melodien formieren.
Die Sängerin und Schauspielerin Chrysta Bell, die mit ihrem Partner für „Twin Peaks (The Return)“ auch gemeinsam vor der Kamera stand, sang, hauchte und interpretierte die von Lynch ad hoc geschriebene Texte ohne vorherige Probe.
In den Songs, die via „So Much Love“ von den Facetten der Liebe erzählen oder per „With Small Animals“ Naturgewalt beschreiben, wird die Gesangsspur auseinandergenommen, in Collagen übereinandergelegt oder zeitversetzt wiedergegeben, ohne dabei den seinen esoterischen Sog zu verlieren.
Entsprechend mystisch bildet „She Knew“ den Auftakt zu 40 Minuten Musik, die die Konsument*innen an die Hand nimmt, um mit „Two Lovers Kiss“ fragile Schönheit zu zelebrieren, im fahlen Mondlicht vor der latent gefährlichen Kulisse von „Reflections In A Blade“ nach „The Answers To The Questions“ zu suchen, um später mit „Dance Of Light“ im semi-poppigen Sound aufzugehen.
„Um Gold zu finden, muss man mit dem Schürfen beginnen“ sagt David Lynch und lässt uns auf „Cellophane Memories“ an diesem Prozess teilzuhaben.