„Ness“ ist da – das dritte Studioalbum von Hayden Thorpe. Alle 13 Stücke basieren auf dem gleichnamigen Buch des britischen Autors Robert Macfarlane, mit dem Thorpe bei der Produktion des Albums in engem Austausch stand.

Ist „Ness“ nur ein weiterer Beweis, dass Popmusik ohne den Einfluss von Literatur nicht auskommt? Dass literarische Bezüge, versteckte oder auch nicht versteckte Zitate zum bewährten Werkzeug guter Songwriter gehören?

Man denke an John Lennon, der unter dem Eindruck der Werke Lewis Carrolls „Lucy In The Sky With Diamonds“ schrieb. Oder an die Talking Heads, die für ihren Song „I Zimbra“ ein Gedicht des Dadaisten Hugo Ball erweiterten.

Natürlich reiht sich Hayden Thorpe in diese Tradition ein. Und doch erinnert die Ernsthaftigkeit und Tiefe des Unterfangens eher an Lou Reeds musikalische Auseinandersetzungen mit den Werken Edgar Allan Poes und Frank Wedekinds.

„Ness“ – Buch und Album – ist auf der britischen Halbinsel Orford Ness angesiedelt, auf der während des ersten und zweiten Weltkriegs Kernwaffen entwickelt und getestet wurden. Geblieben ist eine surreale Kieslandschaft voller Militärruinen.

Dass dies bei weitem nicht alles ist, beweisen die Stücke Hayden Thorpes, die sich dem Gewirr aus Geschichte und Gegenwart und dem Widerspiel von Natur und Mensch widmen und dabei aus Orford Ness einen mythologischen Ort namens Ness modellieren.

Wer – abgesehen vom intellektuellen Überbau – eine musikalisch stringente Entwicklung des ehemaligen Sängers der Wild Beasts erwartete, wird gnadenlos enttäuscht. Der gefällige Groove, der uns auf „Moondust For My Diamond“ (2021) noch begeisterte, ist passé.

An dessen Stelle tritt auf der neuen LP eine weitestgehend pop-ferne, ausgefallene Orchestrierung. Diese ist durch den Einsatz markanter Holzbläser geprägt, aber auch auf mittelalterliche Instrumente wie das in „He“ zu hörende Spinett greift Thorpe zurück.

Im Zentrum der atemberaubenden Kulisse steht aber seine unverwechselbare Stimme, die hin und wieder an den großen Mark Hollis erinnert. Mit ihrem klaren Klang fügt sie dem ornamentalen Wildwuchs auf „Ness“ eine Note geradliniger Schönheit hinzu.

Mit „They“ enthält das Album einen herausragenden Solitär. Umschlossen wird dieser von einem vielstimmigen, über Songgrenzen hinausgehenden Gesamtkunstwerk, das uns an einen schillernden, mystischen Ort entführt.

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