Manchmal sieht man das an öffentlichen Fahrrad-Stellplätzen: Spuren energischer Versuche, abgeschlossene Drahtesel zu klauen, der Sattel ist aufgeschlitzt, die Räder sind zu Achterbahnen geformt. Hier unterzeichneten Vandalen, dass sie am Werk waren. Noga Erez nennt sich nun “The Vandalist”. Übrigens eine verkehrte Wortbildung, “vandal” wäre korrekt. Und sie fährt mit uns akustisch Achterbahn.

In puncto Weiterentwicklung der Musik als Ausdrucksform kümmert sie sich humorvoll um eines der progressivsten Alben des Jahres. Erez’ drittes Langspiel-Werk vermeidet, bei zugleich großem Abwechslungsreichtum, eine zufällige Liedersammlung zu sein.

Statt dessen zieht uns Noga Erez in ihre abstrus komische Party der besonderen Art. Zu ihrer Feier gehören Stimmengewirr, Klangschnipsel, Atmosphärisches, Effekte, wilde Beats und die Lust an der Provokation. Ihr Motto, ausgerufen in “A+”, lautet: “Start a f***ing riot!”

Mit ihrem Produzenten (und privaten Partner) Ori Rousso liefert sie sich folgenden Dialog in “PC People”: Er meint “you’re looking like a lesbian”, und sie fragt “what?!”, er kräht “you’re a lesbian”, sie kreischt, er wirft “I like your dress” zurück, und so beharken sie einander.

Im Rahmen politisch korrekter Prenzlauer Berg-Wokeness fällt das Album spätestens an dieser Stelle durch. Für alle, die sich auf eine Runde dreckigen Hardcore-Rap einlassen, schießt die 34-Jährige die Wort-Salven nur so heraus, dass es ein Genuss ist.

So reimt die Sing-Rapperin aus Israel an anderer Stelle “f*** me in the car” auf den Namen Kendrick Lamar, der immerhin eine ihrer großen Lichtgestalten ist.

“No Gastein” schwadroniert über die Penis-Darstellung des mittelalterlichen Bildhauers Michelangelo.

Zu den schönsten Reimen von “The Vandalist” zählt, den Gangster-Rap-Ausflügen gemäß: “I’m down on my knees / please don’t call the police!” – Sie trägt das paradoxer Weise vor wie eine Alison Goldfrapp 2.0.

Noga behauptet sich außerdem als Hochgeschwindigkeits-Freestyler und nutzt im passenden Moment derbes Street-Rap-Autotuning der künstlichsten Sorte. Ihre Klangfarben schillern zwischen 80er-Hip-House, Klingelton-Ära, Glitch-Elektronik, brasilianischem Baile-Funk und Bollywood-Bhangra-Zitaten.

Dazu erwählt Noga Erez Gäste wie Dillom aus Buenos Aires. Sie sucht den Schulterschluss mit dem Newcomer-Duo Flyana Boss, Label-Kolleginnen auf Atlantic. Die beiden sind derzeit die legitimen Erbinnen von JJ Fad und L’Trimm (die wiederum kürzlich mit Tunes von 1988/89 auf TikTok viral gingen, mit “Supersonic” bzw. “Cars With The Boom”).

In solchem Fahrwasser lässt sich die eigentliche Elektro-Künstlerin Erez mit Hingabe treiben: Oldschool-orientiert im Flow, hingegen aktuell in den Beat-Patterns.

Im Schlussstück zählt Erez ihre Inspirations-Quellen auf. Neben Beatles, Beyoncé, Busta Rhymes, Bowie, Cardigans, Chopin und Cobain weiß sie entsprechend auch Princess Nokia, Little Simz und Leikeli47 zu loben, also die Vorhut des self-empowernden Biographie-Hip-Hops. Aber am meisten beeindruckt in ihrer Namedropping-Aufzählung doch Mazzy Star, ein kenntnisreicher Griff in die Geschichte der kontemplativen Töne.

Von dort aus ist der Schritt zwar immer noch groß zu PJ Harvey, aber nicht mehr ganz so riesig. PJ Harvey galt als großes Vorbild für die Lyrics der ersten Single von Noga Erez 2016 und der Texte des Debütalbums “Off The Radar” 2017. Damals entschied sich die Tel Aviver Newcomerin mit deutscher Plattenfirma, als Außenseiterin des Rap manche Zeilen zu spitten oder eine Art Sprech-Sing-Kauderwelsch heraus zu schleudern.

Wie sie das nun dieses Mal im Rahmen eines Major-Vertrags macht, gleicht einer Hörspiel-Inszenierung. Dazu passt der Trenner zwischen A- und B-Seite, “Hey, Hi”. Hier spricht eine Roboter-Stimme plötzlich direkt die Hörer*innen an und erinnert ans rechtzeitige Umdrehen des Vinyls. Wer gerade streame und keine LP zum Umdrehen habe, möge diese doch bitte erwerben, so die Kompressor-Stimme.

Solche pfiffigen Momente hat die Platte reichlich und hebt sich mit ihren Überraschungen auf jeden Fall ab. Und sie bleibt in Erinnerung, egal ob man sie mag, und bringt immer wieder zum Schmunzeln.

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