Es soll ja Menschen geben, die mit Die Nerven deshalb nicht so viel anfangen können, weil sie das Schonungslose in den Texten der Band überfordert. Weil es sie zu sehr mitnimmt, und den Geist verstimmt. Dabei liegt doch gerade im Sound ihrer Zeilen auch ein Trost darin, dass sich andere dieselben Sorgen machen wie man selbst. Es sei denn, man macht sich einfach keine.
Doch auch wenn in der Alten Feuerwache noch ein paar Leute reingegangen wären, für Naivität ist tatsächlich wenig Platz an diesem Abend. Denn wie auch immer man zur Band steht, eines ist ganz sicher: Zum Eskapismus taugen die Stuttgarter nicht.
„Wir nehmen letzte Stunden, fette Jahre gerne mit. Warum hab‘ ich Angst aber du nicht“, singt Max Rieger im zweiten Song des Abends. Der Klimawandel und sonstige von Menschen verursachte Umweltkatastrophen, sie sind wesentlicher Bestandteil ihres aktuellen Albums „Wir Waren Hier“.
Mit den ersten sechs Stücken richtet das Trio die Aufmerksamkeit voll und ganz auf diese Platte. Ganz ohne Kommentar, ohne Ansage entfalten die Zeilen ihre unmissverständlichen Wirkungen. „Treib den Stollen in die Tiefe, wo es keine Luft zum Atmen gibt. Trag die Schande in die Berge, wo sie Millionen Jahre liegt.“ Ein Satz, der an die Hausfassade von Markus Söder gehört, wenn er wieder Atomkraftwerke fordert, aber schon vorher weiß, dass Bayern für ein Endlager ungeeignet ist.
Mit „Achtzehn“ folgt ein Abgesang auf die Jugend und mit „Europa“ der erste Song, der nicht von 2024 stammt. Ein Stück, mit dem die Nerven vor über zwei Jahren beinahe die traurige Realität überholt haben, muss man doch bis heute mit jedem Mal Refrain unweigerlich an den Ukraine-Krieg denken.
Nein, bis hierhin gibt es rein inhaltlich wenig bis nichts zu lachen. Und das bleibt auch mehr oder minder bis zum Ende so. Den leichteren Teil ihres Unterhaltungswerts erarbeiten sich Die Nerven hingegen über die Intensität und die geradezu physische Performance, ob im Stehen oder Liegen.
Für den unbedarften Teil daran ist meistens Schlagzeuger Kevin Kuhn und sein Overacting verantwortlich. Immer wieder steht er von seinem Schalgzeug-Schemel auf und starrt mit psychopathischer Mine ins Publikum. „Passt auf euch auf“ sagt er dann, bevor er zum nächsten Moshpit trommelt und seine innere Anspannung einreißt.
Das macht dann in Summe eine Band mit zwei blitzgescheiten Frontmännern und einem äußerst sympathischen Schlagzeuger, der vor allem bei „Der Erde Gleich“ alles rauslässt, was das Drummkit hergibt.
Er als Taktgeber, Max Rieger und Bassist Julian Knoth – die Augen auf ihren Drummer gerichtet – ziehen das Stück in die Länge, wie sie das bereits auf der vorherigen Tour getan haben. Erst wird verschleppt, dann beschleunigt. Sie imponieren, plakatieren, Parole: „Das wird jetzt ein neuer Anfang sein!“
Und auch, wenn es damit schon Steil auf das Ende zugeht, scheint noch nicht alles gesagt, vor allem nicht, wenn es um ihr Album „Fake“ geht; dem die Zugaben gehören und wo sich die Parolen weiter zuspitzen.
„Her mit euren Lügen/ her mit eurem Leid“. Auch deshalb sind Die Nerven aktuell eine der wichtigsten Bands dieses Landes. Denn wie einst ihre Postpunk-Kollegen von Fehlfarben, liefern nun sie immer wieder eine präzise Bestandsaufnahme vom schwierigen Zustand der Gesellschaft, dem noch schwierigeren Gemütszustand und dem gefühltem Endstadium der Menschheit.
Dass das nicht jedem passt, ist klar, macht diese Band aber nur noch dringlicher.