„Deep Below“ von den Rats On Rafts führt uns zurück in die Zeit, als 1982/83 die Zukunft Europas einen apokalyptischen Eindruck machte. Ultravox türmten massive Synthesizer-Gebirge auf, a-ha legten tiefe Melancholie in pumpende Sphären-Klänge. Zwischen all den E-Orgel-Tönen stand eines fest: Computer halfen, diese Klangwelten zu formen, und so wie die Waffensysteme technisch vertrackt wurden, so spiegelte es sich in der Musik wider, in Angst einflößenden Sound-Farben.
Die Rats On Rafts haben einige Jahre nach ihrem vielschichtigen letzten Werk diese Koloraturen aufgegriffen, die sich am besten in fahlen Grautönen auf dem Cover abbilden lassen. „Excerpts From Chapter 3: The Mind Runs A Net Of Rabbit Paths“ hieß das originell betitelte Vorgänger-Album, das ebenfalls bei Fire Records erschien.
Die ‚Ratten auf Flößen‘ stammen aus Rotterdam, wo es während der Album-Aufnahmen viel regnete. Ein tolles Biotop für Weinbergschnecken, um sich auf Tour zu begeben. Eine von ihnen schaffte es aufs Artwork von „Deep Below“. So langsam wie sie bewegt sich keiner der neuen Tracks voran, gleichwohl der Titelsong auffallend retardiert wirkt.
Ganz im Gegensatz zum parzellierenden Vorgehen des letzten Longplayers, auf dem jedes Stück eine andere Form annahm, teils eine fragmentarische, zeigen die Niederländer nun: Sie können genauso, wie sie Komplexität beherrschen, auch einfachen, geradlinigen Pop vollführen. Mit einem besonderen Markenzeichen:
Auf „Voiceprint“ hinterlässt Lead-Sänger David Fagan einen seiner Stimm-Abdrücke. Doch das Wummern der E-Orgel dominiert und verwischt den Gesang. Wie so oft auf dieser LP – die Lyrik rückt in den Hintergrund. Dabei gibt es Bedeutungen.
Über „Japanese Medicine“ zum Beispiel sagt Fagan: „es richtet sich an eine frühere Version von mir. Eine Person, die es nicht mehr gibt. Aber die ich gelegentlich vermisse, weil das Leben sehr vielversprechend und unvorhersehbar schien.“
Nun, das ist zwar eine Erklärung, bleibt aber geheimnisumwoben und verschlossen. So ist es generell auf „Deep Below“ mit seinen stimmungsmäßig starken Stücken. Einige davon sind unglaublich charismatisch, den meisten liegen jedoch erst mal traurige Melodien und düster angestrichene, schwer krachende Riffs zugrunde, wie man sie von The Cure und Echo & The Bunnymen kennt.
Danach bringen ein triumphierendes Schlagzeug und frei stehende, lange, hell klingende Synth-Passagen das Ganze aber gleichzeitig zum Leuchten und verweisen auf die Hoffnung am Horizont. Um die Dichotomie aus Dunkelheit und hauchfeinem Lichtstrahl geht es insgesamt auf „Deep Below“.
In „Japanese Medicine“ – und nicht nur dort – fließt zudem das Anhören japanischer Musik ein. Natasha Van Waardenburg, die hier offiziell Bassistin ist und inoffiziell auch den Großteil der Keyboards verantwortet und im Background singt, erzählt uns im Interview, sie habe zuletzt viel alten japanischen Rock in sich aufgesogen.
Einige Songs des Quartetts verpflichten sich der nahtlosen Fortführung schneidender und doch zugleich melodiöser Musik im Stile der Psychedelic Furs. Sie ziehen die Register des Post-Punk mit undurchdringlichen Gitarren, die fast alle Lyrik zur Seite wischen.
Das massive „Sleepwalking“ dröhnt wie eine große Walze und ist der lang gezogene Höhepunkt des Albums, auf der am Ende die perfekt ausbuchstabierte Tristesse kulminiert.
„Deep Below“ eignet sich für Hörer*innen, die sich Depeche Modes „Enjoy The Silence“ mit sägenden Gitarren und Einstürzende Neubauten in sphärischen Minuten vorstellen können und beides gut fänden.