Lido Pimienta, eine der markantesten Stimmen des zeitgenössischen Global-Pops, zeigt sich fünf Jahre nach ihrer Grammy-Platte „Miss Columbia“ musikalisch verwandelt und bleibt doch ganz sie selbst. Eine Künstlerin in absoluter Topform.
Mit „La Belleza“ veröffentlicht die kolumbianisch-kanadische Sängerin ein Werk, das weniger als Album im klassischen Sinne funktioniert, sondern vielmehr als Partitur, die irgendwo zwischen sakralem Ritual, feministischer Selbstbehauptung und postkolonialer Klangrecherche schwebt.
Nach dem vielfach gefeierten „Miss Colombia“, mit dem sie folkloristische Rhythmen der Karibik neu interpretierte, schlägt sie nun einen radikal anderen Weg ein und macht sich die orchestrale Form zu eigen.
Unterstützt von Komponist Owen Pallett und der Philharmonie von Medellín formt die 1986 in Barranquilla, Kolumbien geborene und seit den 00er Jahren in Kanada lebende Künstlerin ein musikalisches Tableau, das in seiner Opulenz genauso zu überwältigen vermag, wie es in den leisen Momenten berührt.
Gregorianische Gesänge treffen auf Cumbia-Andeutungen, barocke Harmonien auf indigene Erinnerungen. Das eröffnende „Overturn“ schürt gleichermaßen feierliche wie dramatische Erwartung – die dann auch kommen.
Denn thematisch ist „La Belleza“ zutiefst persönlich und erneut äußerst politisch. Pimienta verarbeitet Mutterschaft, Verlust, Körperlichkeit, Begehren und Heilung – alles durchzogen von einem klaren Bewusstsein für ihre afro-indigene Herkunft.
In „Aún Te Quiero“, ein Stück, zu dem Björk ganz sicher auch ja sagen würde, singt Lido Pimienta von der Komplexität der Liebe nach dem Schmerz.
Mit „Busca la Luz“ hingegen beschließt das Album mit triumphaler Geste: Eine hymnische Erinnerung daran, dass Schönheit kein ästhetisches Ideal ist, sondern ein existenzielles Bedürfnis.
Was „La Belleza“ so besonders macht, ist die Weigerung, sich einordnen zu lassen: Kein reines Klassikalbum, keine ethno-musikalische Studie, sondern eine künstlerische Selbstbehauptung, die das Persönliche und das Politische, das Sinnliche und das Geistige miteinander verschränkt.
Dabei bedient sich Pimienta teilweise uralter Mittel aus der Gregorianik und schafft trotzdem eine wunderbare Zeitlosigkeit. Sie dehnt erneut die Grenzen dessen, was Popmusik sein kann, mit Mut, Würde und Intelligenz. Ein musikalisches Fest.