„eor“ bedeutet „Anker“ auf Bretonisch – und genau so fühlt sich das zweite Album von Quinquis an: wie ein Halt inmitten rauer See, ein Innehalten zwischen Gezeiten und Legenden.
Inspiriert von einer gemeinsamen Segelreise mit Ehemann Yann Tiersen, die sie von der Bretagne über Irland und die schottischen Inseln bis zu den Färöern führte, erzählt Quinquis auf acht Tracks von einer Welt zwischen Wasser und Traum.
Schon Tiersens eigenes Album „Rathlin From A Distance | The Liquid Hour“ war ein musikalischer Logbucheintrag dieser Reise. „eor“ knüpft daran an – aber aus einer ganz eigenen Perspektive:
Émilie Quinquis, die früher als Tiny Feet Musik machte, taucht tief ein in eine magisch-vernebelte Klangwelt, in der Meerjungfrauen die Hauptrollen spielen. Sie träumen davon, Seefahrerinnen zu sein, verlieben sich in andere Meerjungfrauen und werden verflucht, weil sie wie Menschen lieben wollen.
Quinquis erzählt diese Geschichten in fließenden Synth-Arpeggios, düsteren Ambient-Flächen und mit einem Gesang, der irgendwo zwischen Erde und Äther schwebt.
Was dabei entsteht, ist ein Erlebnis. Wer die Augen schließt, treibt mit. Mal auf sanften Wellen, mal durch bedrohlichere Untiefen. Quinquis setzt auf bretonische Texte, was dem Ganzen eine noch mystischere Note verleiht. Ihre Stimme wirkt mal wie ein fernes Echo, mal wie ein eindringliches Gebet.
Verstärkung kommt von zwei besonderen Gästen: Die walisische Harfenspielerin und Komponistin Cerys Hafana verleiht „Blaz An Holen“ mit ihrem Gesang auf Walisisch eine mittelalterlich-archaische Kraft. Desire Marea – eine non-binäre Ausnahmeerscheinung aus Südafrika – bringt auf „Inkanuko“ Zulu-Gesang ins Spiel und macht aus dem Track ein rituelles Soundereignis.
Musikalisch bewegt sich „eor“ irgendwo zwischen Elektro-Chanson („The Tumbling Point“), düster-poetischem Synthpop („Dec’h“) und folkloristisch anmutenden Klängen.
Besonders der letzte Track „Aet On“ lässt aufhorchen: dramatisch, fast schon theatralisch, aber nie überladen. Der Song wirkt wie das letzte Aufbäumen, bevor man endgültig in der See versinkt – und bildet ein intensives, leicht dystopisches Ende für ein ansonsten hoffnungsvolles Album.
„eor“ ist ein Klangkunstwerk – zwischen den Welten, durchdrungen von Mythen, vom Rhythmus des Meeres und mit einer Stimme, die noch lange nachhallt.