David Byrne hat schon so sehr Maßstäbe gesetzt, dass es für sein neues Album kaum etwas anderes zu erwarten gibt, als eine Horizonterweiterung. Schon den Titel des Longplayers „Who Is The Sky?“ kann man als Frage in diese Richtung deuten, nämlich übersetzt in etwa: ‚Wer setzt ein Limit nach oben?‘
Der Label-Gründer von Luaka Bop, einstige Gitarrist und überhaupt Multiinstrumentalist der legendären und hypereinflussreichen Talking Heads und Autor eines Buchs übers weltweite Radfahren hat 2018 seine letzte Platte „American Utopia“ heraus gebracht. Jener aufwändige Hybrid aus Elektronik, Sampling einerseits, handgreiflichen Instrumenten andererseits entstand zusammen mit Brian Eno, Oneohtrix Point Never und vielen anderen, und verkaufte sich in Deutschland und den meisten Nachbarländern vortrefflich.
Das war beileibe nicht immer so: Manche Byrne-Alben interessierten weder in den USA noch Europa sonderlich. Wirklich solo zeigte sich der 73-jährigen Wahl-Amerikaner dabei selten. Dieses Mal zieht er mit dem Ghost Train Orchestra in Richtung Kammermusik und bleibt auch seinem gewohnten und verschrobenen Art-Rock-Ansatz treu.
Die Cover-Grafik von „Who Is The Sky?“ erinnert an die Musterung eines Pfauen-Gefieders und verarbeitet mindestens neun kontrastreiche Farben, soweit sie sich ohne optische Täuschung entschlüsseln lassen. Das smarte Design stammt von dem belgischen Künstler Tom Van Der Borght und von Shira Inbar aus New York, die auch den Wissenschaftsteil der Wochenzeitung Die Zeit grell illustriert.
Das Spiel mit Wahrnehmung im multimedialen Sinne war immer ein Thema für David Byrne, der einen weit ausgelegten Kulturbegriff pflegt und bekanntlich gerne auf Reibung, Clashes, Stör-Signale und Stolpersteine inmitten gefälliger Ästhetik setzt.
Will man das Album in seine Klangfarben zerlegen, um davon nicht völlig erschlagen zu werden, gibt es als eine Fraktion an Liedern diejenigen mit geradlinigen Rhythmusmustern ohne Brüche und mit leicht zugänglichen Melodien.
Dazu zählen „I Met The Buddha At A Downtown Party“, das hymnische und eindrucksvolle „She Explains Things To Me„, der niedliche Reggae-Bounce „The Truth“ voller dicker Streicher-Schichten, außerdem „I’m An Outsider“ mit typischen absurd-halluzinativen Byrne-Zeilen, zum Beispiel „ich habe ein sprechendes Zebra getroffen und bin der Mann mit 50 Augen“.
„I’m An Outsider“ hat ein schräges Intro, das am Theremin gespielt wurde. Der Song integriert Funk-Elemente, Easy-Listening, klassisches Geschichtenerzählen des Folk-Pop, bräsige Bläser-Riffs, und baut seine Bridge auf den Klängen einer Marimba auf. Am Ende zieht ein Vocoder dann Byrnes Stimme durch eine witzige Modulation. Kurzum, es ist ein faszinierendes Lied.
Weniger gelungen erscheinen einzelne Ausflüge in Mariachi-Sound oder Americana-Folk oder eine überzuckerte Schmalz-Ballade. Das Eröffnungsstück „Everybody Laughs“ stellt derweil sehr stark den Ansatz des stets präsenten Ghost Train Orchestra aus Brooklyn in den Vordergrund.
Der programmatische Liedtitel „The Avant Garde“ gibt schon in der Intonation den ehemaligen Talking Head unschwer zu erkennen. Er singt hier, wie er es 40 Jahre jünger auch schon tat.
Am gelungensten ist dagegen wohl die gekonnte Verbindung aus den Schlagzeug-Loops und schiebenden Bässen in „When We Are Singing“, die mit dem orchestralen Rundherum perfekt verschmelzen.
„My Apartment Is My Friend“ hätte von der Machart her auch nahtlos auf das aktuelle Sparks-Album „MAD!“ gepasst, wobei Russell Maels Gesangsleistung dort gewiss stärker punktet. Stimmlich erweist sich Byrne dagegen auf den meisten Tracks deutlich mehr auf der Höhe.
Bei vielen davon bekommt man indes den Eindruck, David Byrne strebe die Sorte Klang an, die Bruce Hornsby mit yMusic und weiteren Partnern tatsächlich gelang, zuletzt 2024 auf „Deep Sea Vents“ reichlich radikal. Byrne bleibt, gemessen daran, im Entwurfs-Modus stecken.
Zu seinen Mitstreiter*innen auf „Who Is The Sky?“ gehören Hayley Williams (im folkloristischen Duett „What Is The Reason For It?“), St. Vincent, Tom Skinner von The Smile, Mauro Refusco, der einst mit Flea von den Red Hot Chili Peppers und mit Thom Yorke als Atoms For Peace ein ganzes Album aufnahm, das besagte 15-köpfige Ensemble und Kid Harpoon als Co-Produzent.
Trotz guter Voraussetzungen, ironischer und fantasievoller Texte und den ganzen Beteiligungen dieses experimentierfreudigen Personals bleibt „Who Is The Sky?“ eine überladene und mittelprächtige Platte, die unruhig wirkt, nicht so recht auf den Punkt kommt und abseits ihrer Höhepunkte gelegentlich einfach langweilt.