Langsam und gemächlich, wie die Schildkröte die namensgebend für die Band steht, haben sich Tortoise seit Beginn der 90er Jahre einen Namen im Instrumentalkosmos gemacht. Langsam und gemächlich lässt sich aber auch als Überbegriff ihres Sounds wählen, der von Post- und Progressive-Rock ebenso beeinflusst ist wie von Jazz, Dub und Lo-Fi Electronica. Die fünfköpfige Band rund um Mastermind John McEntire veröffentlicht nach neun Jahren Pause nun mit „Touch“ das 11. Album.

Das Einspielen des Albums gestaltete sich, aufgrund der quer über die USA verteilten Bandmitglieder, etwas schwieriger und so ist der homogene Klangkosmos wohl mehr der Routine des Zusammenspiels zu verdanken.

Dennoch ist „Touch“ eine bunte Wundertüte verschiedener Klangwelten, die merklich vom instrumentalen Können der Bandmitglieder beeinflusst ist und allerlei Einflüssen unterliegt, die doch irgendwie zusammenfinden.

Schon im Opener „Vexations“ treffen Krautrock-Gitarrenriffs auf blubbernde Keyboard-Harmonien und einen ächzenden Basslauf, der bei der „Layered Presence“ einem verträumten Scheppern an die Tür zur Traumwelt weicht.

Vielschichtig graben sich Tortoise mit dieser rumpelnden Wiegenrhythmik in eine zugleich verspielte wie auch saitenschnarrende Präsenz.

Schäkernd elektronisch umflirrt weiß „Works And Days“ zu begeistern, das seine Percussion reduziert, aber effektiv einsetzt und zwischen Lo-Fi Rhythmik und jazzigem Ambiente hin- und herwechselt.

Deutlich mehr Rhythmus, fast schon poppig, könnte man „Elka“ bezeichnen. Das mit technoiden Drumbeats und sphärischer Electronica-Herrlichkeit für Aufmerksamkeit sorgt, aufgrund mangelnder Klangflexibilität aber auch schnell eintönig wird.

Da sind die vertraut molligen Klänge von „Promenade á Deux“ schon heimeliger. Irgendwo zwischen verschnörkelten Synthesizern, zaghaft gezupften Saiten und fein abgemischter Percussion geleiten uns Tortoise wieder ins rauschartige Hörvergnügen zurück.

Dazu gehört auch, dass sich die Bandmitglieder ihrer Solistenkünste bewusst werden. „Axial Seamount“ zeigt sich, vom Drumbeat gnadenlos übertaktet, in eine sphärische Welt gleitend, die zwischen Bassrafinesse und sägenden Synthies nach seiner Berufung sucht.

Eine Identitätskrise, die auch „A Title Comes“ schon titelgebend zur Schau stellt. Feingliedrig der Lo-Fi Akustik zugewandt, haucht das Stück seinen Lebensatem aus, um dem „Rated OG“ seinen kurzen Auftritt zu gönnen:

Irgendwo zwischen düsterer Krimisound-Ästhetik und uneingelöstem Versprechen schwebt ein Spannungsbogen in der Luft, den die virtuosen Saitenklänge nicht auflösen wollen.

Schön, dass „Oganesson“ auf Spannungsbögen verzichtet und mit jazzigen Rhythmen elektronische Klangwelten aus dem lateinamerikanischen Musikkosmos belebt. Schwebend zwischen Baratmosphäre und schwurbeliger Extravaganz zeigen Tortoise hier, wie homogen unterschiedliche Genres ineinandergleiten können.

Zu welcher Klangkulisse eine fünfköpfige Band fähig ist, zeigt das beinahe orchestrale, dem Postrock zugewandte „Night Gang“, das 80er Synthesizer-Nostalgie mit Ennio-Morricone-Gitarren kreuzt, den Stromstecker findet, um Saitensolis ins Gehör zu fräsen und es schafft, auf genau fünf Minuten Spielzeit den gesamten Tortoise Genrekatalog zu vereinen.

Auch wenn die Lo-Fi-Ästhetik „Touch“ beherrscht, verbirgt sich hinter der Gemächlichkeit der zehn Titel eine tiefgreifende Raffinesse und spielerische Extravaganz.

Mit instrumentalem Können und klarem Soundverständnis vereinen Tortoise ihr individuelles Können in ein harmonisches, genreübergreifendes Gesamtwerk. So dient „Touch“ nicht nur den Hi-Fi-Ästheten und Klangfetischisten als Grenzen öffnendes Album.

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