Portugal. The Man, diese hakenschlagende Prog-Pop-Band der nördlichsten aller Hemisphären, man würde sie niemals in Alaska verorten, wenn man es nicht besser wüsste. Wasilla, dieses 10.000 Seelen Städtchen am 62. Breitengrad soll Geburtsstätte der Band und Ursprung ihrer heißblütigen Musik sein? Mit dieser Ambivalenz kommt jede KI an ihre Grenzen.

Vielleicht gibt gerade deshalb die Band zu Beginn ihres 11. Albums einen Hinweis: „Yeah you, master of reality/ always was, always will be, Denali“, singt Frontmann John Gourley zum Ende des Openers „Denali“. Gemeint ist damit der höchste Berg Alaskas, der in Washington Mount McKinley genannt wird. Schwer zu erkennen, dass mit „master of reality“ auf Trump gezielt wird.

Es ist ein erstes Anzeichen dafür, dass „Shish“ nicht als bloßes Nachspiel zu „Chris Black Changed My Life“ zu sehen ist. Die Band, die nach dem Ausscheiden von Schlagzeuger Jason Sechrist zum Duo geschrumpft ist, hat ihre Trauer in Energie verwandelt und ein Album aufgenommen, das sich nicht anbiedern will, es will dich ausräumen.

Die Rasenmäher gleiche Hardcore-Attacke im darauffolgende „Pittman Ralliers“ lässt keine zwei Meinungen zu. Von der ersten Minute an schwingt ein fast körperliches Unbehagen mit, wo sich im Anschluss alles wie eine Wetterfront aufbaut, zwischen fiebrigen Synths und knirschenden Beats, während John Gourley seine Falsettlinie gegen die eigene Müdigkeit stemmt.

„We can be family“, singt er später in „Knik“, doch es klingt weniger wie ein Angebot als wie ein letzter Versuch, nicht zu verschwinden. Wo der Vorgänger „Woodstock“ (2017) noch stadion-tauglich groovte und das darauffolgende „Chris Black Changed My Life“ Trost suchte, erlaubt sich „Shish“ viel mehr: Eine „Collection of sonic exorcisms“ sei das laut Gourley.

Das kann man so stehen lassen und der Vollständigkeit hinzufügen, dass das mit einigen enervierenden Momenten einhergeht. Die infantile Stimme im Titeltrack etwa, oder die im Fuzz-Effekt ersaufenden Gitarren sind selten angenehm.

„Mush“ und „The Father Gun“ treiben diesen Ansatz auf die Spitze: verschobene Harmonien, abgewetzte Loops, Stimmen, die kommen und gehen, als wären sie längst Geister. Im schlimmsten Fall klingt das so willfährig wie bei den nimmermüden Kollegen von King Gizzard & The Lizzard Wizzard.

In den guten Momenten trotzen Portugal. The Man allerdings der Dissonanz genug Poppappeal ab, um in „Tanana“ oder „Knik“ als zuverlässiges Werkzeug zum Einsatz zu kommen: verzerrt, verbeult, aber wirkungsvoll.

Unterm Strich ist „Shish“ kein einfaches Album und vielmehr reich an unbequemen Widersprüchen. Die Band klingt allerdings so frei wie seit „The Satanic Satanist“ (2009) nicht mehr. Nur dass sie heute offensichtlich weiß, was die Freiheit kostet – gerade im entlegenen Alaska.

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