Aktuelle Berichterstattung ist es zugegebenermaßen nicht gerade, ein Album zu rezensieren, deren Veröffentlichungsdatum der 5. April diesen Jahres war. Aber es gibt manchmal komplexe Werke, die einige Zeit brauchen, um sich in Umfang und Anliegen einigermaßen zu erschließen.
Haben im vergangenen die Swans mit ihrem Noise Testament „The Seer“ für das sperrigste Album des Jahres gesorgt, treten 2013 The Knife dieses Erbe an. „Shaking The Habitual“ ist ein 100 Minuten langes Epos, welches an die Grenzen gewöhnlichen Hörverhaltens stößt.
Wer Melodien sucht und auf hipsterhaften Elektro-Minimalismus steht, lässt lieber die Finger von dieser Platte, denn die beiden schwedischen Künstler-Geschwister Dreijer – beschäftigen sich mit Inhalten jenseits der nervigen Dauerauseinandersetzung mit eigenen Befindlichkeiten.
Arrangements, deren Gesamtheit als Song im eigentlichen Sinn bezeichnet werden könnte, gibt es bestenfalls auf zwei Stücken (z.B.“Stay Out Here“ ), es überwiegen 10-minütige Klanginstallationen in scheinbar losen Strukturen, die aber eben genau das nicht sind. Songs, in denen zum Teil konträre Rhythmus Anordnungen aufeinander losgelassen werden.
Der voodoo-ähnliche Gesang von Karin Dreijer, der das Sound-Labyrinth überspannt, gibt sich unnahbar, kalt, betörend und fesselnd, wie man es auch von ihrem Projekt Fever Ray kennt.
Visuell wird das Album durch konzeptionelle Kurzfilme unterstützt, das albtraumhafte Video zu „Full of Fire“ reiht sich hierbei mühelos in die Reihe ähnlich verstörender Clips wie „Come To Daddy“ von Aphex Twin oder „Rabbit in Your Headlights“ von Unkle ein.
Das musikalische Anliegen der Schweden („No Habits! There are other ways to do things“ – ein entsprechendes Manifest liegt der Doppel CD bei), nämlich das Beseitigen des gesellschaftlichen Ungleichgewichts durch Rückzug in Gesetzmäßigkeiten von natürlichem Zeitfluss und biologischen Rhythmen, wird am Eindrucksvollsten beim 19-minütigen „Old Dreams Waiting To Be Realized“ umgesetzt, bei dem sich Wassertropfen, Insekten und sonstiges dem Urschleim entsteigendes Getier über dem Dröhnen des Urknalls bewegen.
Aber auch der Track „Fracking Fluid Injection“, dem Soundtrack zum Öko GAU, ist in seiner Aussage deutlich: Abkehr vom scheinbar alternativlosen Gesellschaftsbrei und Informations-Terrorismus durch repetitives und unablässiges Zerren, Schaben an und Schütteln der Gewohnheiten.
„Shaking The Habitual“ kann man nur lieben oder hassen. Dazwischen gibt es nichts.