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Der Kratzer im Glück – We Are Scientists im Interview

We Are Scientists (Credit Annett Bonkowski)

Der wissenschaftliche Aspekt mag im Werk von  We Are Scientists zwar keine Rolle spielen, aber die Arbeitsweise des New Yorker Duos mutet dafür mindestens ähnlich akribisch an und hält die Synapsen auf Trab. Für ihr neues Album “TV En Français” ergründeten sie sogar ausgiebig die zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Probleme. Statt wissenschaftlicher Studie entstanden dabei zehn persönliche Songs, deren Inhalte immer wieder die (fehlende)  Kommunikation in den Fokus rücken. Beim Gespräch mit uns in einem sonnendurchfluteten Raum in einem Berliner Hotel stellte die Artikulation für Keith Murray und Chris Cane zum Glück keine Hürde da.

MusikBlog: Existiert für euch nach fünf Studioalben noch die Vorstellung einer idealen Platte?

Keith Murray: Nach fünf Alben kann man schon etwas desillusioniert sein, was den Albumprozess betrifft. Ich glaube, wir haben uns keinem unserer Alben mit dem Gedanken genähert, dass wir am Ende ein vollkommenes Resultat vor uns haben würden. Wir haben aber den Anspruch an uns ein Album zu machen, das in unseren Augen als vollendet gilt. Vielleicht ist es irgendwo dasselbe.

MusikBlog: Seid ihr diesem Anspruch eurer Meinung nach mit “TV En Français” gerecht geworden?

Keith Murray: Wenn wir danach gehen wie reibungslos die Aufnahmen vonstatten gegangen sind, dann ja. Nur das Mastering hat uns ganz schön gequält. Dieser Teil des ganzen Albumprozesses ist so wichtig und raffiniert! Bei unserem ersten Album haben wir diesen Arbeitsschritt gar nicht so ernstgenommen bzw. überhaupt erst als eine real existierende Maßnahme eingestuft. Hinterher waren wir davon überzeugt, dass gar nichts mit den Songs angestellt worden war und wir mit einer Rechnung über 2,000$ abgezockt wurden. Mittlerweile wissen wir aber um die Relevanz des Mastering und hören den Unterschied. Es ist unglaublich wie zeitaufwendig das Ganze sein kann. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir dieses Mal den Nagel auf den Kopf getroffen haben.

Chris Cain: Ich denke, wir haben das Beste aus allem herausgeholt.

Keith Murray: Ich weiss nicht einmal, ob wir jemals ohne eine Art vorgefestigter Albumidee oder zumindest einer vagen Vorstellung davon ins Studio gegangen sind. Wir wissen eigentlich immer schon vor Betreten des Studios, dass da ein Album in uns schlummert. Wir sind keine dieser Bands, die sich erst vor Ort auf die Suche danach begeben. Dazu fehlt uns wohl das passende Erbgut. Es würde mir auch Angst einjagen auf diese Weise ein Album zu machen. Ich könnte gar keinen Spaß haben! Den kann ich nur aus mir rauslassen, wenn das Fundament der Songs bereits besteht. Dann kann man sich beim Spielen auf die Kleinigkeiten konzentrieren und sich hinsichtlich der Details austoben.

MusikBlog: Nach all den Jahren ist es das erste Mal, dass ihr ein Album zu Hause in New York aufgenommen habt. Wie wichtig war euch dieser Heimatbezug?

Keith Murray: Da wir unsere Platten bisher immer weit weg von New York aufgenommen haben, war uns dieser Bezug nicht besonders wichtig, schätze ich. (lacht)

MusikBlog: Was hat sich denn geändert, so dass ihr überhaupt in Erwägung gezogen habt quasi vor der Haustür an neuen Songs zu arbeiten?

Chris Cain: Es hatte vor allem etwas damit zu tun, dass wir alle – inklusive unseres Produzenten – zur selben Zeit in der Stadt waren. Auf unserem letzten Album “Barbara” waren wir örtlich gesehen sehr zerstreut. Unser Schlagzeuger Andy lebte in London während unser damaliger Produzent von Los Angeles aus an den Songs mitgewirkt hat. Dieses Mal waren die Umstände anders, denn Andy ist für ein Jahr nach New York gezogen, um für die Aufnahmen vor Ort zu sein und Chris Coady, der “TV En Français” produziert hat, lebt ebenfalls dort.

Keith Murray: Nach dieser New-York-Erfahrung würde ich am liebsten all unsere zukünftigen Alben dort aufnehmen. Es war toll am Ende eines Aufnahmetages zurück in seine eigenen vier Wände zu gehen und nicht darauf verzichten zu müssen seine Familie und Freunde während dieser Zeit zu sehen.

MusikBlog: Wie hat Andy die Zeit bei euch in New York gefallen?

Chris Cain: Für ihn ist ein absoluter Traum wahrgeworden! (lacht) Nein, im Ernst – er mochte New York schon vorher und hat es genossen etwas mehr Zeit in der Stadt zu verbringen. Es war alles sehr aufregend für ihn.

Keith Murray: Von unserem Standpunkt aus war sein Umzug ein totaler Gewinn, gerade was unseren sozialen Umgang miteinander anging. Sogar ein größerer Vorteil als die eigentliche Zusammenarbeit selbst. Während wir dort genauso gut funktionierten wie vorher, legten wir auf sozialer Ebene wesentlich zu und hockten ständig zusammen. Das schlug sich vor allem in unserem Bierkonsum nieder. (lacht)

MusikBlog: Hatte das Konsequenzen für die Aufnahmen?

Keith Murray: Ja, die Aufnahmen waren dadurch noch glohreicher als vorher! (lacht) Aber mal im Ernst, wir waren im Studio alle sehr viel lockerer, da wir auch ausserhalb so viel Zeit miteinander verbrachten. Ausserdem war es schön in einer gewohnten Umgebung aufzuwachen anstatt irgendwo in der Fremde zu sein und nur unbekannte Gesichter zu sehen. Wir konnten dieses Mal jeden Tag gemeinsam in unser “Büro” fahren und uns morgens mit einem “Hey, wie geht’s?” oder “Alles klar?” begrüßen.

Chris Cain: Dabei haben wir sehr darauf geachtet nicht immer denselben Spruch zu bringen und unseren Text zu variieren…”Doing good, boys?” (lacht)

Keith Murray: “What’s uuuup, guys?” hat leider nicht so gut funktioniert und war von allen Begrüßungen die Schlimmste! (lacht)

MusikBlog: Auf eurer Website habt ihr eure Fans nach Fertigstellung des Albums dazu aufgerufen diese Tatsache zu feiern. Wie sahen eure Post-Studio-Feierlichkeiten aus?

Keith Murray: Ehrlich gesagt, fällt es uns immer schwer den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden, denn es gibt verschiedene Etappen bei einem Albumprozess. Eigentlich ist die harte Arbeit für uns mit den Aufnahmen beendet, aber dann geht es mit dem Mixen und dem Mastering weiter. Selbst, wenn wir das fertige Album physisch in den Händen halten, scheint es weiterzugehen.

Chris Cain: Wir machen uns Gedanken um die Veröffentlichung, das Artwork und wenn das geklärt ist, brüten wir schon wieder über den anstehenden Shows. Es gibt keinen wirklichen Punkt, der für uns das Ende dieser Reise darstellt. Und wenn man dann doch am Ende des ganzen Album-Zyklus angekommen ist, ist das Verfallsdatum der Feierlichkeiten längst überschritten. (lacht)

Keith Murray: Von daher versuchen wir erst gar nicht präzise einen dieser Momente zu feiern, sondern konzentrieren uns lieber auf den nächsten Schritt.

MusikBlog: Stehen sich dabei der kreative Teil und die vielen geschäftlichen Verpflichtungen ab und an im Weg?

Chris Cain: Ja, das kommt tatsächlich vor, aber dieses Mal haben wir das Album im Alleingang aufgenommen. Es gab kein Label oder Management, das uns im Nacken saß oder einen Veröffentlichungstermin, der eingehalten werden musste. Wir haben den kreativen Teil einfach vorher erledigt und konnten dann alle geschäftlichen Dinge in Angriff nehmen.

Keith Murray: Und trotzdem liegen die Songs schon seit über einem Jahr herum, denn wir haben das Album bereits im Januar 2013 fertiggestellt. Das ist allerdings ein Umstand, der sich nicht ändern lässt, denn abgesehen von den Aufnahmen dauert es immer seine Zeit bis alle anderen Faktoren bis zur Veröffentlichung der Platte geklärt sind. Deswegen haben wir in der Zwischenzeit eine 7″ und eine EP herausgebracht, um die Langeweile zu vertreiben. Es wäre tödlich gewesen ein Jahr herumzusitzen und nichts zu tun.

Chris Cain: Die Alternative dazu wäre gewesen den ganzen Prozess krampfhaft zu beschleunigen, aber das hätte dem Album vermutlich nicht gut getan. Es hätte keinen Sinn gemacht die Songs frühzeitig zu veröffentlichen. Wir sind keine Beyoncé, die von solchen Aktionen nur profitiert. In unserem Fall wäre der Schuss nach hinten losgegangen. Aber Beyoncé sitzt vielleicht auch gerade da und muss sich eingestehen, dass man nicht immer alles überstürzen kann. Die Realität sieht nämlich oftmals anders aus.

Keith Murray: Was für ein Fehler! (imitiert Beyoncé und schüttelt den Kopf)

MusikBlog: “TV En Français” thematisiert im großen Maße zwischenmenschliche Beziehungen und die damit einhergehenden Probleme. Mit welcher Erkenntnis blickt ihr dahingehend nun auf die Songs und auf euch selbst?

Keith Murray: Das Lustige an diesem Album ist, dass alle Stücke darauf sich zwar um eine konkrete Beziehung drehen, aber alle geschrieben wurden bevor diese dann letztendlich in die Brüche ging. Gerade als das Album fertig war, sind meine damalige Freundin und ich auseinandergegangen.

Chris Cain: Als sie die Songs gehört hat, war es aus!

Keith Murray: Aus und vorbei! Vielleicht war das der Moment, in dem wir wussten, dass das Album fertig ist. In gewisser Weise ist es also ein Break-Up-Album, aber es kommt eben nicht mit den normalerweise vorhandenen persönlichen Schlussfolgerungen daher. Das ist vielleicht auch gut so, denn es kann ganz schön nervig sein sich ein Beziehungsfazit über die Distanz einer Platte anzuhören. Wenn man selbst nicht gerade in einer ähnlichen Situation steckt, ist es nicht so interessant.

Chris Cain: Das Album ist etwas allgemeingültiger als die meisten anderen Break-Up-Alben. Man kann sich selbst ohne frischen Trennungsschmerz gut in die Songs hineinversetzen und die darauf thematisierten Probleme nachvollziehen. Seien wir doch mal ehrlich, jede Beziehung bringt auch bestimmte Probleme mit sich. Das fängt spätestens nach sechs Wochen an. Dann werden die ersten Kratzer im Glück sichtbar. (lacht)

Keith Murray: Ich mache mir manchmal Sorgen darüber, ob ich nicht zu viel von mir in einen Song stecke oder darin preisgebe. Ich will nicht besonders vage Aussagen treffen, aber eben auch nicht alles schonungslos offenlegen. Das würde wahrscheinlich etwas plump klingen und liegt mir einfach nicht als Songwriter. Alex Turner schafft diesen Spagat zwischen Persönlichem und Allgemeinen und arbeitet viel mit spezifischen Pronomen, um seine Aussagen zu unterstreichen. Ich finde es für meine Songs aber spannender einem universalen Gefühl Ausdruck zu verleihen anstatt nur meine persönliche Sichtweise darzulegen.

Chris Cain: Heutzutage funktioniert Popmusik wunderbar ohne diese spezifischen Charakteristiken, damit sich ein breites Publikum davon angesprochen fühlt. In der Literatur jedoch ist es genau anders herum. Sie lebt geradezu von dieser sehr persönlichen Ebene und die Wertschätzung dieser ist viel mehr gegeben.

Keith Murray: Leonard Cohen ist zum Beispiel ein Meister darin im weitesten Sinne Popsongs zu schreiben, denen aber immer diese persönliche Schwere anhaftet…Und nun weiss ich nicht mehr zu welcher Schlussfolgerung wir gerade gekommen sind. (lacht)

MusikBlog: Habt ihr das Gefühl noch vieles über Beziehungen oder deren Ende lernen zu müssen?

Keith Murray: Oh ganz bestimmt. Beim neuen Album dreht sich vieles um die Schwierigkeiten, die man hat, einen anderen Menschen vollkommen zu verstehen. Oder gar sich selbst zu durchschauen, denn da fangen die Probleme meist schon an. In diesem Sinne haben wir sicherlich auch noch sehr viel zu lernen. Sehr viel!

Chris Cain: Vielleicht kann man das aber auch gar nicht lernen, sondern immer nur aufmerksam im Hinterkopf behalten, wenn man mit anderen Menschen zu tun hat.

MusikBlog: Apropos lernen, was hat die französische TV-Kultur mit den Songs auf “TV En Français” zu tun?

Chris Cain: Wir haben das Thema schon leicht angeschnitten, denn es hat etwas damit zu tun, dass man sich in einer Beziehung befindet, die nicht optimal ist und in der vor allem die Kommunikation zum größten Problem wird. Es kann unheimlich schwierig sein zu kommunizieren, was man dem anderen mitteilen will. Wir dachten der Albumtitel würde das Thema ganz gut aufgreifen. Er prangte als Reklame an einem Motel in Miami, in dem wir waren. Für uns ist er eine Metapher für den Albuminhalt auf textlicher Ebene. Stell dir vor, du schaust Fernsehen und wirst mit einer Sprache konfrontiert, die du nicht sprichst. Du kannst höchstens ein paar grobe Eckpunkte der geführten Unterhaltungen ausmachen und bist ansonsten etwas verloren, weil dir all das wirklich Wichtige verborgen bleibt. Uns hat dieser Ansatz zur Umschreibung von Beziehungen gefallen, die nach sechs Wochen den Bach runtergehen wie wir ja nun wissen. (lacht)

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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