Festivals sind ein guter Ort, um Fans zu stehlen – Childhood im Interview

Irgendwann einmal ist es da. Das Gefühl von Leere im eigenen Leben. Die Sehnsucht, diese entstandene Lücke mit dem fehlenden Puzzleteil zu füllen, das man so verzweifelt sucht. Nicht immer lässt sich überhaupt sagen, was genau denn eigentlich diesen Zustand der Leere ausgelöst hat. Auf Childhood aus England hat das Wort „Lacuna“, welches eben jenes Befinden beschreibt, eine ganz besondere Anziehung ausgeübt. Sie nannten sogar ihr dieser Tage erscheinendes Debütalbum danach. Grund genug für uns, einmal persönlich bei zwei Herren des Quartetts, Sänger Ben Romans Hopcraft und Gitarrist Leo Dobsen, nachzuhaken und nebenbei ein paar Kindheitserinnerungen zu wecken.

MusikBlog: Habt ihr euch mittlerweile daran gewöhnt, Vollzeit-Mitglied in einer Band zu sein?

Ben Romans Hopcraft: Um ehrlich zu sein, habe ich mich noch nicht so ganz daran gewöhnt.

Leo Dobsen: Bei mir ist diese Tatsache schon ins Bewusstsein vorgedrungen und es fühlt sich wie ein ganz normaler Teil meines Lebens an. Trotzdem empfinde ich es als großes Privileg, täglich mit der Musik meinen Lebensinhalt zu füllen.

MusikBlog: Ihr steht noch am Anfang eurer Karriere. Denkt ihr dennoch darüber nach, dass die Musik, das Business und vielleicht auch der Lifestyle einmal Überhand in euerem Leben nehmen könnten?

Ben Romans Hopcraft: Ja, dieser Gedanke ist mir tatsächlich schon gekommen. Einfach, weil ich es fürchterlich finde, wenn Künstler den Bezug zu ihrem Umfeld, vor allem den Menschen darin, verlieren. Mir graut es auch davor, etwas zu schaffen, dass unter Umständen größer wird als man selbst, so dass man keinerlei Kontrolle mehr darüber hat. Daher muss man früh lernen, dass man eine gesunde Distanz zu dem haben sollte, was man macht. Wenn man das nicht schafft, rennt man irgendwann wie ein Egomane durch die Welt. Da ist es schon angebracht, sich in der Bescheidenheit zu üben.

Leo Dobsen: Wir sind wirklich noch ganz am Anfang unserer Reise, daher fühlt es sich immer noch wie ein großes Abenteuer für uns an. Als ob man hinaus ins Weltall geschleudert wird und dann darin herum schwebt.

MusikBlog: Gibt es in dieser frühen Phase, in Bezug auf das Musiker-Dasein, schon so etwas wie Schattenseiten für euch?

Ben Romans Hopcraft: Die einzige, die mir gerade einfällt, ist die fehlende Zeit für Freunde und die Familie. Manchmal fällt es mir schwer, einen ebenso regen Kontakt zu ihnen zu halten wie vorher, weil meine Zeit nun knapper bemessen ist.

Leo Dobsen: Es kann schon einmal vorkommen, dass man durch das viele Reisen und die Termine körperlich müde ist und dann keine Lust mehr auf allzu viel Gesellschaft hat.

Ben Romans Hopcraft: Das ist aber im Vergleich zu all den tollen Erfahrungen, die wir sammeln, ein wirklich kleines Opfer, das wir erbringen müssen.

MusikBlog: Ihr habt das Studium an der Universität gegen eine Karriere als Musiker eingetauscht. Fühlt sich diese Entscheidung nach wie vor richtig und gut an?

Ben Romans Hopcraft: Ja! Es ist großartig, sich jetzt nur noch auf die Musik konzentrieren zu können. Die Uni hat sich für uns nicht wie ein Käfig angefühlt, aber oftmals eben wie eine Art Luftblase. Teilweise war man so isoliert von allem, was einen umgeben hat, inklusive der Realität, der man praktisch nicht entgehen kann. Ein Student zu sein, ist im Vergleich dazu so, als ob man ein völlig albernes Leben führen würde. Im Normalfall geben die Studenten ihr Bücher-Geld eher für Alkohol und Essen aus oder wenn sie zusammen weggehen. Anstatt zu Vorlesungen zu gehen, hängst du miteinander ab und so verstreicht ein Tag nach dem anderen, ohne dass du wirklich Notiz davon nimmst. Ich wusste teilweise nicht einmal, was überhaupt in der Welt los war, weil ich mich inmitten dieser Blase befand, in der das Leben so leicht und in Ordnung war. Es war ein wenig wie eine Fantasiewelt oder ein Mikrokosmos. Daher war es ganz erfrischend, dort herauszukommen. Ausserdem war es an der Zeit, etwas Bedeutungsvolleres zu tun, als so in den Tag hineinzuleben.

Leo Dobsen: Aber das Studium war auch eine tolle Zeit, die Spaß gemacht hat und in der man viele nette Leute kennenlernen konnte. Ich verbinde damit auch sehr viele schöne Erinnerungen.

MusikBlog: Welchen Stellenwert hat denn ein akademischer Abschluss für euch als Vollzeit-Musiker?

Ben Romans Hopcraft: Als wir anfingen, die Musik wirklich ernst zu nehmen, hatten wir unseren Abschluss schon so gut wie in der Tasche. Daher war es kein Problem für uns erst einmal das Studium zu beenden und dann das Dasein als Musiker anzuvisieren. Abgesehen davon sind meine Eltern beide Musiker, das heisst sie haben Verständnis für meine Situation. Nicht, dass sie es gut gefunden hätten, wenn ich das Studium geschmissen hätte, aber sie wussten immerhin ungefähr, was in mir vorging und haben mich immer in meinem Vorhaben unterstützt.

MusikBlog: Hat sich der Wunsch, Musiker zu werden schon in eurer Kindheit manifestiert oder erst später?

Ben Romans Hopcraft: Mir war ziemlich früh bewusst, dass ich Musiker werden wollte. Ich habe mich schon immer für die Musik interessiert und wollte Gitarre spielen. Darüber hinaus hatte ich auch noch Glück, diesen wundervollen Typen hier neben mir zu treffen. Er hat mir dabei geholfen, meinen Weg zu finden.

Leo Dobsen: Als Kind war der Beruf Musiker für mich sehr weit von der Realität entfernt und eher so etwas wie ein Wunschtraum. Jetzt bin ich sehr dankbar dafür, diesen in die Tat umzusetzen. Es ist schön zu sehen, wohin einen das Leben manchmal führen kann, wenn man fest genug an etwas glaubt. Jetzt bin ich in einer Band und mache genau das, wovon ich immer nur geträumt habe.

Ben Romans Hopcraft: In einem Raum in Berlin zu sitzen und Club Mate zu trinken! (lacht)

MusikBlog: Wie sah denn eure erste Berührung mit der Musik aus? Erinnert ihr euch daran?

Ben Romans Hopcraft: Ich weiss noch, dass bei mir zu Hause viel von Michael Jackson und Tina Turner lief. Oh, und dieser Song „Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)“ von der C+C Music Factory. Meine Mutter hat diesen Track geliebt! Zuerst habe ich mit meinem Bruder immer ganz unbedacht das Musikfernsehen wahrgenommen. Irgendwann fanden wir dann aber, dass diese Popmusik und alles, was damit zusammenhing, ziemlich cool war. Ich habe meinem Vater als Kind auch oft dabei zugesehen, wie er an verschiedenen Jazz-Projekten gearbeitet hat. Ihn spielen zu sehen, zählt zu einer meiner schönsten Kindheitserinnerungen. So haben wir fast jedes Wochenende miteinander verbracht.

Leo Dobsen: Bei mir haben sich die Bilder in meinem Kopf festgesetzt, wie ich als Kind mit meiner Familie im Auto saß und während der Fahrt immer Van Morrison, Paul Simon, The Beatles oder The Rolling Stones liefen. All diese klassischen Bands, die Väter so hören.

Ben Romans Hopcraft: The Beatles sind ein absolutes Muss, wenn man aufwächst und einen Zugang zur Popmusik finden will. Viel zu wenige Kinder wachsen heutzutage noch mit dieser Art von Musik auf und verpassen dabei eine Menge. Glaub mir, kein Songwriter wird jemals gut werden, wenn er das nicht in seiner Kindheit oder Jugend in sich aufgesogen hat.

MusikBlog: Vermisst ihr etwas aus eurer Kindheit, das ihr gern wieder zurück hättet?

Ben Romans Hopcraft: Mein Superman-Cape! Das war damals der wertvollste Gegenstand, den ich hatte.

Leo Dobsen: Ich vermisse diese kindliche Aufregung in meinem Alltag, die ich damals immer verspürt habe.

Ben Romans Hopcraft: Ich habe nicht erwartet, dass du etwas so Tragisches nennst. Wenn du so fühlst, ist das wirklich ein schlimmer Verlust. Jetzt hast du aber einen ganz schön wunden Punkt getroffen. (lacht)

MusikBlog: Und wie willst du sie wieder zurückbekommen?

Leo Dobsen: Das weiss ich noch nicht so recht. Ich glaube, ein winziger Teil davon ist immer noch erreichbar. Vielleicht bekomme ich ihn irgendwann wieder zu fassen. Es ist so, als ob damit auch etwas von meiner Unschuld verlorengegangen ist…

Ben Romans Hopcraft: Oh Gott, höre sofort damit auf!

Leo Dobsen: Schon gut. Da fällt mir ein – ich vermisse auch ein Cape, aber meins war von Batman. Besser?

Ben Romans Hopcraft: Ja! Aber mein Cape war besser, weil Superman fliegen kann. (lacht)

MusikBlog: Wie habt ihr am Wort „Lacuna“, eurem Albumtitel, Gefallen gefunden?

Ben Romans Hopcraft: „Lacuna“ ist ein Begriff mit sehr vielen verschiedenen Bedeutungen, die alle auf eine bestimmte Leere hinweisen. Das hat mir schon immer daran gefallen. Es kann ein Raum gemeint sein oder aber auch eine Pause in einem Musikstück und noch vieles mehr. Für uns passte das gut mit unserer Musik zusammen, in der wir ebenfalls verschiedene Elemente aufgreifen wollen. Auch inhaltlich haben wir uns diesem Gefühl von Leere in unseren Texten angenommen.

MusikBlog: Falls es sie gibt, was ist denn die „Lacuna“ in eurem Leben?

Ben Romans Hopcraft: Wow. Das nenn ich einmal eine tiefgründige Frage. Jetzt willst du es aber wissen! Für mich persönlich ist diese besagte Leere in meinem Leben vermutlich der fehlende, wahrhaftige Kontakt zu Menschen im Allgemeinen. Das klingt jetzt nach einem totalen Klischee, aber wenn man auf Tour ist, dann sind die meisten Treffen mit fremden Menschen eher oberflächlich. Du lernst jemanden kennen und beginnst immer wieder das gleiche Gespräch von vorn. Das ist zwar okay, aber auch nicht wirklich normal. Manchmal vermisse ich das Gefühl, einfach eine total langweilige Konversation mit einem Freund zu haben, dem man nicht erst sein Leben erzählen muss. Oder die Tatsache, dass man von Zeit zu Zeit gar nicht miteinander sprechen muss und trotzdem weiß, was der andere denkt oder fühlt.

Leo Dobsen: Die Leere in meinem Leben ist wohl am ehesten die fehlende Stabilität darin. Wenn man in einer Band ist, herrscht eigentlich immer etwas Chaos und kein Tag gleicht dem anderen. Ein ganz normaler Rhythmus kommt gar nicht erst auf. Das hat aber auch viele Vorteile und ich denke mir immer, dass ich diese Stabilität auch noch im zunehmenden Alter finden kann. Bis dahin sollten wir das Beste aus diesem Zustand der Unvorhersehbarkeit machen, in dem wir uns gerade befinden.

Ben Romans Hopcraft: Die wirklich, wirklich große Leere in meinem Leben ist und bleibt aber das Superman-Cape, das ich vorhin erwähnte. (lacht)

Leo Dobsen: Mein Gott, ich dachte, jetzt kommt etwas ganz Großes, das uns umhaut!

Ben Romans Hopcraft: Ich glaube mein Nachbar hat mir das damals geklaut. Ich will es zurückhaben! Dann bastel ich mir daraus ein Bühnenoutfit für die nächste Tour. (lacht)

MusikBlog: „Lacuna“ ist euer Debütalbum. Warum erscheint es erst jetzt, wo ihr doch schon länger zusammen Musik macht?

Ben Romans Hopcraft: Das ist wahr. Wenn wir wirklich gewollt hätten, wäre die Platte schon viel eher veröffentlicht worden. Ich bin aber froh, dass wir damit gewartet haben, denn die Songs, die wir geschrieben haben, waren vor einer Weile noch viel nostalgischer als jetzt. Als wir mit dem Studium durch waren und nach London gingen, hätten wir diese Songs theoretisch rausbringen können, aber das hätte nicht im Geringsten das Gefühl widergespiegelt, das wir in dem Moment in uns spürten. Wir hatten viel mehr als das zu sagen und teilweise eine viel weiter gefasste Sicht auf die Dinge um uns herum. Wir wollten also unbedingt neue Songs schreiben, die alldem besser gerecht werden konnten. Dafür brauchten wir ein wenig Zeit. Auch um zu erkennen, dass sich unsere Sicht auf das Songwriting selbst verändert hatte.

MusikBlog: Zu welcher Erkenntnis seid ihr dabei gekommen?

Ben Romans Hopcraft: Wir haben erkannt, dass wir geduldig mit uns selbst sein müssen. Ein gewisser Druck von außen ist gut, aber wir wollen uns auf keinen Fall dazu drängen lassen, voreilig Songs zu veröffentlichen, die vielleicht noch etwas Zeit benötigt hätten. Zum Glück steht niemand mit erhobenem Zeigefinger hinter uns, der uns sagt, heute ist die Deadline erreicht! Ausserdem haben wir mittlerweile als Band eine Persönlichkeit entwickelt, die uns als Basis für alles Weitere dient. Von ihr ausgehend, können wir musikalisch mit Dingen wie der Instrumentierung herum experimentieren und unsere eigene Wohlfühlzone verlassen, wenn uns danach ist. Wir haben in Sachen Sound keine wirkliche Bandidentität wie so manch andere. Dafür aber eine Persönlichkeit und das Verlangen, immer wieder die eigenen Grenzen auszutesten.

Leo Dobsen: Man sollte sich ohnehin niemals auf ein abgestecktes Feld begrenzen, wenn es darum geht, etwas zu schaffen.

MusikBlog: Seid ihr während eurer Anfangsphase als Musiker öfter einmal an eure Grenzen gestoßen? Zum Beispiel, weil ihr nicht das richtige Equipment hattet oder euch noch gewisse Fähigkeiten gefehlt haben?

Ben Romans Hopcraft: Das ist uns tatsächlich öfter passiert. Es hat ewig gedauert, bis wir herausgefunden hatten, welche Art von Sound uns als Band vorschwebte und wie wir diesen dann auch umsetzen konnten. Teilweise sind es nur ein paar Effektgeräte, die darüber entscheiden, ob du auf der Stelle trittst oder du dich weiterentwickeln kannst. Das Warten auf den richtigen Sound ist wie ein Geduldspiel.

Leo Dobsen: Vielleicht hilft uns diese Erfahrung dann auf lange Sicht, denn oftmals fehlt vielen Bands diese Geduld am Ende.

MusikBlog: Es scheint sich schon jetzt für euch zu lohnen, wenn man sich die großen englischen Festivals ansieht, auf denen ihr in diesem Sommer gespielt habt.

Leo Dobsen: Das stimmt. Es war eine tolle Erfahrung für uns, ein paar Wochen lang bei verschiedenen Festivals zu spielen. Reading war unglaublich. Es waren so viele Leute da, was natürlich damit zu tun hatte, dass Jamie T direkt nach uns sein Live-Comeback gefeiert hat, aber das konnte uns ja egal sein. Wir hatten dadurch auch ein großes Publikum.

Ben Romans Hopcraft: Festivals sind ein guter Ort, um Fans zu stehlen. Wie bei Jamie T! Du lässt einfach einen bekannten Musiker vor dir spielen und klaust ihm vorab die Fans.

MusikBlog: Wie soll das denn im Detail funktionieren?

Ben Romans Hopcraft: Erst lässt du alle brav zu deiner Show antanzen und lockst sie mit der Aussicht, gleich danach den großen Act live zu sehen und dann verkündest du ihnen einfach, dass sie in deiner Gewalt sind und, musikalisch gesehen, dir gehören. So einfach ist das! (lacht)

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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