Meine sehr geehrten Damen und Herren, sind sie bereit für eine 50-minütige musikalische Reise, verpackt in 7 Liedern, die Aufmerksamkeit verlangt? Wenn ja, dann willkommen an Bord vom Warm Graves Album „Ships Will Come“. Diese junge Formation aus Leipzig steckt voller Tatendrang und Energie und will uns beweisen, dass es noch mehr da draußen in der Musikwelt gibt als eingängige, jedoch schnell verflogene Musik.
Auf ihrem bereits am 17. Oktober erschienenen Album vergraben die Warm Graves sich geradezu unter einem Bergwerk von Soundscapes und verträumten Klängen. Anders kann man den Einstieg in „Ships Will Come“ nicht beschreiben. So pluckert und stampft „Ravachol“ doch immer weiter in die Tiefe, während sie der Welt mit fatalistischen Chören erwachen lassen. Kern dieses Albums ist der fast 11 Minuten lange Schlussakt namens „Rouleaux“.
Hier herrscht vielmehr Experimentierwut, das Fließen- und Treibenlassen in der Musik, das Leben im Sound. Magische Klänge, Verschrobenheit und Kraut verbünden sich weit weg vom herkömmlichen Songformat und tauchen tief in das Herz der Finsternis ab. Die Übergänge sind fließend, selbst wer seine Gedanken nicht schweifen lässt, wird nicht unbedingt immer mitbekommen, wann der eine Song aufhört und der nächste anfängt. So etwas wie Hits kann man sich hier höchstens erarbeiten. Genauso wenig wird hier Wert auf konventionelle Songs und Gesangsspuren gegeben. Viel Spaß beim Refrain heraushören, sage ich da nur.
„Ships Will Come“ ist das Manifest eines Musiker-Kollektivs, das alles kennt und nichts auslässt. Souverän fügen Warm Graves hier zusammen, was so immer schon hätte verbastelt werden müssen. Hier treffen dringliche Echos aus den Tiefen der Musikgeschichte auf halluzinatorische Akkordschleifen und hügeligen Soul sowie rauschige Orgelpassagen auf folkiges Gitarrengezupfe. Das Klanguniversum rotiert hier um eine Achse des guten Geschmacks, die durch nahezu sämtliche Fixpunkte der Poptradition verläuft, von Miles Davis bis Brian Eno, von Krautrock bis Laptop-Elektro.
Es ist ein lustvolles Stöbern und Stochern in akustischen Traditionen, ein halb intellektuelles, halb intuitives Arrangieren von kanonisierten Versatzstücken, die sauber aus dem historischen Kontext herausgearbeitet und neu interpretiert werden. Und genau in dieser übergreifenden Strategie offenbaren Warm Graves ihre Klasse. Denn selbst, wenn das Gesamtbild manchmal etwas verworren bleibt, gewährt „Ships Will Come“ einen flüchtigen Eindruck davon, wie gute Musik im noch ungefestigten neuen Jahrtausend klingen könnte – eklektisch, ekstatisch, elegant.