Es schreibt der österreichische Psychologe Gerald Dunkl: „Das Interessante am Sternenhimmel sind nicht die Sterne, sondern die Zwischenräume.“ Es singen die Stars aus Kanada: „No One Is Lost„. Wir unterhielten uns mit Stars-Composer Evan Cranley (Bass, Gitarre und Hut) über ABBA, David Cronenberg und warum Kanada näher an Skandinavien ist als an den USA.
MusikBlog: Hallo Evan! Sag mal, spricht man Deinen Vornamen genau so aus, wie den von Evan Dando von den Lemonheads?
Evan Cranley: Ja! Lustig, dass Du gerade den erwähnst. Wir waren mal zusammen in Deutschland auf Tour.
MusikBlog: Und wie war´s?
Evan Cranley: Seltsam. Das muss jetzt schon wieder neun oder zehn Jahre her sein. Evan war gerade mal wieder etwas neben der Spur. Ich erinnere mich daran, dass ihm die Berliner Polizei sein Skateboard wegnahm, mit dem er auf dem Parkplatz hinter der Halle herumflitzte.
MusikBlog: Der gute Evan. So hab ich ihn auch in Erinnerung. Brutaler Themenwechsel. Wo bist Du aufgewachsen?
Evan Cranley: Die ganze Band kommt eigentlich aus Toronto. Wir sind vor etwa vierzehn Jahren gemeinsam nach Montreal gezogen.
MusikBlog: Was ist denn der Unterschied zwischen Toronto und Montreal?
Evan Cranley: So, als ob Du eine Band in Dresden oder Frankfurt gründen würdest. Ich finde, es gibt in jeder Stadt einen anderen Umgang mit Kunst und Kultur. Für uns war es eine natürliche Entwicklung, von einer eher teuren Stadt mit prima Musik-Kommune wie Toronto an einen Ort zu ziehen, der viel roher und schmutziger ist. Das bedeutete für uns mehr Freiraum. Ausserdem tummeln sich in Montreal auch viele gleichgesinnte Künstler.
MusikBlog: Mein Verständnis von Kanada ist hauptsächlich von kulturellen Export-Schlagern wie David Cronenberg oder William Shatner geprägt. Weiter als die Niagara-Fälle bin ich bisher nicht ins Land gekommen. In wieweit stimmen denn die Klischees über Kanada?
Evan Cranley: Also, neben so einem Entertainment-Giganten wie den USA wirkt die kanadische Kunst- und Kulturszene eher klein und bescheiden. Da ist es vielleicht besser, sich in den Bilderbuch-Vorstellungen von Kanada zu ergehen: Berge, Flüsse und Bieber (lacht). David Cronenberg mag ich auch sehr gerne. Er ist eine Ikone und ein fantastischer Filmemacher. Was die Stars betrifft – sieh es so: Wir sind eine englischsprachige Band in einer eher französisch geprägten Stadt mit einer alten, eigenen Kultur. Englische Muttersprachler sind hier definitiv in der Minderzahl. Das heisst, wir leben in unserer eigenen, kleinen Blase. Wir haben eher diese Do-It-Yourself-Mentalität – mit möglichst wenig Mitteln viel erreichen. Und das an einem Ort, der eigentlich die Hälfte des Jahres nahezu unbewohnbar ist. Zwischen November und April ist es hier so kalt und dunkel, dass Du viel mit dir selber beschäftigt bist. Eine Art kreativer Winterschlaf in den eigenen vier Wänden, wo Du die meiste Zeit so vor Dich hinwerkelst. Dieses Gefühl der Isolation, und diese eigentümliche Dunkelheit führt zu einer starken Konzentration in der Arbeit: Du kriegst viel geschafft.
MusikBlog: Das heisst: Je einsamer der Ort und je kälter der Winter, desto inbrünstiger die Kunst? Andere Modelle für konzentriertes Musizieren wären demzufolge Island und Skandinavien?
Evan Cranley: Ja, könnte hinkommen. Wir haben hier in Kanada beispielsweise keine hübschen, sonnigen Strände wie in Kalifornien. Oder ähnliche Ablenkungen. Vielleicht gibt es daher tatsächlich eine stärkere Verbindung zu skandinavischer Kunst. Wir mögen auch die konzeptionelle Ernsthaftigkeit und die Ästhetik schwedischer Pop-Bands.
MusikBlog: Du meinst damit wahrscheinlich aber weniger ABBA, oder?
Evan Cranley: (lacht). Klar, warum nicht? Die hatten schon eine sehr kraftvolle Ästhetik. Und sie behandelten Pop-Musik wie ein klassisches Format, was es in meiner Meinung auch ist. Ich dachte natürlich eher an zeitgenössische Bands wie The Knife.
MusikBlog: Irgendwie wusste ich, dass Du das sagen würdest. Wie wärs´s mit Entombed?
Evan Cranley: (lacht) Meinetwegen. Aber ich würde gerne nochmal darauf zurückkommen, dass Pop-Musik eine sehr klassische Kunst-Form ist, die mit mehr Respekt behandelt werden sollte. Ich finde, dass viele Pop-Songs ähnlich wie Symphonien oder Sonette aufgebaut sind. Die Leitmotive und die vierteilige Struktur von Verse, Chorus, Bridge, Outro hat Ähnlichkeiten mit klassischen Kompositionen. Ich bin jetzt seit 15 Jahren in einer Pop-Band und habe immer noch das Gefühl, dass Pop-Musik als Kunstform nicht so angesehen ist, wie sie es sein sollte.
MusikBlog: Das liegt vielleicht ein wenig an den vielen generischen Wühltisch-Kapellen, die ebenfalls das Etikett „Pop“ tragen und den Markt mit Autotunes-Gedöns überfluten. Es gab in Deutschland früher diese Redewendung „schnell und vergänglich“. Ihr dagegen bewegt euch eher im klassischen Pop-Kosmos zwischen ABBA, Björk, Frank Zappa und den Beatles. Also mehr Team „Zeitlose Qualität“, oder?
Evan Cranley: Danke.
MusikBlog: Wie ist dein Verhältnis zu Musik-Videos?
Evan Cranley: Naja. Wir haben einen Clip zu „From Tonight“ von „No One Is Lost“ gedreht. Da haben wir uns ein paar Freunde und ´ne Kamera geschnappt und sind einfach durch die Stadt gezogen. Wir sind in ein paar Kneipen gegangen, haben ein paar Drinks runtergekippt und uns gut amüsiert. Und weisst Du was: Es hat richtig Spaß gemacht, den Clip zu drehen. Es war kein großes künstlerisches Statement, oder irgend was hochtrabendes, gewaltiges. Sondern einfach nur reine Lebensfreude. Und ich find´s wichtig, sowas auch zu zeigen und zu vermitteln. Was das Video-Format angeht: Oft schauen sich die Leute unsere Clips ja nur noch auf winzig kleinen Bildschirmen oder auf ihrem Telefon an. Und da funktioniert der handgemachte Clip zu „From Tonight“ oder unser Lyric-Video ziemlich gut. Ich finde das eigentlich interessanter als so eine extrem aufwendige Großproduktion mit Tänzern und teuerstem Equipment. Ich möchte etwas ehrliches und lebendiges sehen, das eine positive Energie ausstrahlt.
MusikBlog: Was machst Du heute noch nach unserem Interview?
Evan Cranley: Ich werde mich mit dem Rest der Band ins Studio verziehen. Dann tüfteln wir weiter an unserem Stage-Set und der Programmierung unserer Light-Show.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.